Τετέλεσται

Τετέλεσται
Und so wurden vollendet Himmel und Erde und ihr ganzes Heer. Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte.
1. Mose 2:1-2
Als Jesus nun den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollendet. Und er neigte das Haupt und verschied.
Johannes 19:30

Tetelestai – es ist vollendet, es ist vollbracht. Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut (1. Mose 1:31). Ein Meisterstück der Perfektion, die vollkommene Vollendung. Das Juwel Gottes, der größte Ausdruck seiner Schönheit und Herrlichkeit.

Manchmal frage ich mich, ob da nicht ein Fehler unterlaufen ist, eine kosmische Verwechslung. Ob Gott nicht eigentlich einen ganz anderen Planeten in einem anderen Sonnensystem in einem anderen Universum perfekt geschaffen hat, und wir aus unerfindlichen Gründen ganz wo anders gelandet sind. Wie kann die Welt, in der ich lebe, von Gott perfekt geschaffen worden sein? Wo ist die ganze Schönheit hin, die Vollendung, mit der Gott die Welt geschaffen hat?

Ich muss gar nicht erst die Nachrichten lesen oder aus dem Haus gehen, damit diese Fragen aufkommen. Es reicht, wenn ich in einem lichten Augenblick erkenne, wie viel Zerbrochenheit in mir ist. Wer einen Grund für das Übel in der Welt sucht, tut gut daran, bei sich selbst anzufangen. Wer andere korrigieren und kritisieren will, sollte sich zuerst an seine eigene Nase fassen.

Die Linie, die Gut und Böse trennt, verläuft nicht zwischen Staaten, nicht zwischen Klassen und nicht zwischen Parteien, sondern quer durch jedes Menschenherz.
Alexander Solschenizyn
Wer darf sagen: Ich habe mein Herz geläutert,
ich bin rein geworden von meiner Sünde?
Sprüche 20:9

Wenn ich ehrlich bin, gelange ich zu der gleichen Einsicht wie der englische Autor G.K. Chesterton Anfang des 20. Jahrhunderts: auf die Frage der Times, was mit der Welt nicht stimmt, antwortete er: „Ich.“

Aber was ist es, tief im Herz des Menschen, das so zerbrochen ist, dass die ganze Welt daran zerbricht? Was ist die Wurzel allen Übels, an der die ganze Schöpfung erstickt? Hass, Neid, Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Selbstverliebtheit, Unversöhnlichkeit – das alles läuft am Ende auf dieses hinaus: dass Gott uns für sich bestimmt hat, aber wir ihn nicht wollen. Er allein ist das Leben. Deshalb ist er unser Ziel, die Gemeinschaft mit ihm unsere Bestimmung. Und deshalb kommt das hebräische Wort für Sünde vom Wort Verfehlung – jemand, der das Ziel verfehlt hat.

Sünde ist nicht zuerst eine Tat, die ich tue. Es ist viel tiefer: Es ist die Ausrichtung meines Lebens, das Ziel, auf das mein Leben hinführt. Sündigen ist nicht zuerst das Übertreten einer Regel oder eines Gebotes, sondern ein Schritt, der mich vom wahren Ziel entfernt. Sünde ist ein Ziel, das nicht die Gemeinschaft mit Gott ist. Ein Ziel, das mich deshalb tötet, weil es mich von eben dieser Gemeinschaft, in der das Leben ist, entfernt.

Die Frage, die sich uns stellt, ist die folgende: Wie schlimm steht es um uns? Wie tief haben wir den Karren in den Dreck gefahren? Und dabei geht es nicht darum, ob wir mit genug Anstrengung und Kraftaufwand irgendwie „gut genug“ für Gott werden können. Es sind ja nicht unsere Leistungen oder deren Abwesenheit, die unser echtes Problem sind, sondern dass wir uns aus Gottes Gemeinschaft entfernt haben. Nicht, dass uns ein Richter verurteilt, sondern dass wir auf ein Ziel zulaufen, das uns töten wird. Dass uns eine Krankheit befallen hat und uns umzubringen droht. Und gute Absichten alleine machen uns nicht gesund.

Wäre unser Problem, dass wir nicht „gut genug“ sind, dass wir einen Standard nicht erfüllen, eine Messlatte nicht erreichen, dann wären die Leistungen und unsere Anstrengung allein das, um was es geht. Aber Sünde – ein Leben mit dem falschen Ziel, außerhalb der Gemeinschaft mit Gott –  ist letztlich eine Krankheit der Seele. Und Krankheit interessiert sich nicht für deine Leistungen, deine Bemühungen und deinen guten Einsatz. Sie befällt deinen Körper an seiner schwächsten Stelle und breitet sich aus, bis sie ihn ganz eingenommen hat.

Wie schlimm steht es dann um uns? Gibt es Hoffnung?

Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aber, von dem darfst du nicht essen, denn sobald du davon isst, musst du sterben.
1. Mose 2:17
Ihr wart nämlich tot – tot aufgrund der Verfehlungen und Sünden.
‭‭Epheser‬ ‭2:1

Es gibt keine Hoffnung! Außer, wenn ein Wunder geschieht. Außer, wenn Menschen, die tot sind, in Gottes Gemeinschaft lebendig gemacht werden können.

Das Wort wird Fleisch

Und das Wort, wurde Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir schauten seine Herrlichkeit.
Johannes 1:14

Das größte Wunder, für das selbst das Wunder der Schöpfung nur Vorbereitung war: der unfassbare, unergründliche Gott wird Mensch, um uns zu begegnen. Und dass er nicht Außenstehender, nicht unerreichbar und unantastbar bleibt, sondern die menschliche Natur anzieht und selbst Mensch wird.

Ganz ehrlich: wir haben nicht den Hauch einer Ahnung, was wir an Weihnachten feiern. Würden wir ansatzweise verstehen, um was es geht, würde uns jedes Jahr zu Heiligabend der Mund offen stehenbleiben vor Staunen. Denn Jesus ist ganz Mensch. Und ganz Gott. Allein in Jesus sind Gott und Mensch wieder vereint, die Gemeinschaft wiederhergestellt. Indem Jesus Mensch wird, wird er zu dem Ort, an dem die Gemeinschaft mit Gott wieder möglich ist. Weil Jesus ganz Gott und ganz Mensch ist, bedeutet Gemeinschaft mit Gott zu haben, in Jesus zu sein.

Es gibt jetzt also keine Verurteilung für die, die in Christus Jesus sind.
Römer 8:1
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Johannes 15:5

Gott allein ist Leben. Deshalb ist Leben allein in der Gemeinschaft mit Gott. Jesus ist ganz Gott und ganz Mensch. Deshalb ist Gemeinschaft mit Gott allein in Jesus. Wenn Jesus sich nicht mit unserer menschlichen Natur vereint hätte, würden wir auf ewig in der Dunkelheit, die wir uns ausgesucht haben, umherirren. Aber in Jesu Menschlichkeit bekommen wir Zugang zu seiner Göttlichkeit, zum Leben Gottes. Nur wer in Jesus ist, lebt.

Die Vollendung am Kreuz

Die Menschwerdung Jesu wäre nicht vollendet ohne das Kreuz. Er wird ganz Mensch. Er wird eins mit uns in der ganzen Schrecklichkeit unserer Zerbrochenheit: er stirbt am Kreuz. Wäre er dem Kreuz ausgewichen, dann hätte er die tiefsten Tiefen des Menschseins nicht durchlebt. Und gerade da, als das Leid seinen Höhepunkt erreicht, schreit er mit seinem schmerzerfüllten, letzten Atemzug: Es ist vollbracht. (Johannes 19:30)

Es ist vollbracht. Jesus ist ganz eins mit uns geworden. Er hat die Gemeinschaft von Gott und Mensch vollendet. Die Gemeinschaft, die Paulus später die neue Schöpfung nennt.

Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir fest, dass wir mit ihm auch leben werden.
Römer 6:8
Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
2. Korinther 5:17

Was ist die neue Schöpfung, die hier am Kreuz beginnt? Es ist die Schöpfung einer Menschheit, die in ihrer Berufung lebt, die aus der Gemeinschaft mit Gott heraus lebt. Wer in diese Gemeinschaft eintritt, tritt ein in die Gemeinschaft des Gekreuzigten, und damit in die Gemeinschaft des Auferstandenen. Denn wie könnte Dunkelheit das Licht auslöschen? Wie könnte der Tod über das Leben Gottes siegen? Wer in Jesus ist, lebt mit Gottes Leben, das stärker ist, als der Tod.

Das ist die zweite Schöpfung, um derer die erste Schöpfung überhaupt geschah. Das war, wozu wir von Anfang an berufen waren: mit Gott eins zu werden. Das war, was von Anfang an Gottes Sehnsucht und Wunsch war: eins zu werden mit seiner Schöpfung, in tiefster Gemeinschaft zu leben mit dem Menschen. So, wie zwei Menschen in der Ehe eins werden, obwohl sie immer noch zwei sind, so soll der Mensch eins werden mit Gott.

Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein grosses Geheimnis; ich spreche jetzt von Christus und der Gemeinde.
Epheser 5:31-32

Zur Rechten Gottes

Seid ihr nun mit Christus auferweckt worden, so sucht nach dem, was oben ist, dort, wo Christus ist, zur Rechten Gottes sitzend.
Kolosses 3:1
Und Jesus trat zu ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.
Matthäus 28:18

Die Vollendung selbst findet ihre Vollendung, als Jesus wieder in den Himmel auffährt und die Herrschaft über den Kosmos annimmt. Und wenn wir in ihm sind, dann sind wir ebenfalls da: zur Rechten Gottes sitzend. Denn das war Gottes Auftrag an uns: Von Anfang an waren dazu bestimmt, Gottes Partner zu sein, mit ihm und an seiner Seite die Herrschaft über seine Schöpfung auszuüben.

Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie untertan, und herrscht über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen.
1. Mose 1:28
Du hast den Menschen zum Herrscher gesetzt über die Werke deiner Hände,
alles hast du ihm unter die Füsse gelegt.
Psalm 8:7

Als Jesus in den Himmel auffährt, nimmt er den Platz zur Rechten Gottes ein, um als wahrer König über die ganze Schöpfung zu herrschen, wie Gott es von Anfang an für den Menschen vorgesehen hat. Es gibt für uns keinen anderen Weg, unsere ursprüngliche Berufung zu erfüllen, als in Jesus zu sein.

Und darin offenbart sich ein weiteres Wunder: Selbst unser Auftrag, zu herrschen, ist ein Ausdruck der Sehnsucht Gottes, mit uns eins zu sein. Er sehnt sich nach einer so tiefen Gemeinschaft mit uns, dass er sogar seine Herrschaft als allmächtiger Gott, mit dir teilen möchte!

Und jetzt?

Das Einzige, worauf es im Leben wirklich ankommt, ist, die Gemeinschaft mit Jesus zu suchen und in ihr zu leben.

Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich heraus keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr es nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
Johannes 15:4

Wie sieht das im Leben aus? Wie bleibt man in Jesus?

Das Erste ist Gemeinschaft mit Jesus alleine im Gebet. Wer in Jesus bleiben will, sucht diese Zeit mit Jesus in allen Formen: mit Worten oder in der Stille, mit oder ohne Musik, in Gebetszeiten oder im Alltag, mit eigenen Worten oder mit den Worten anderer. Gebet ist Dank, aber auch Bitte. Es ist Klage, aber auch Sehnsucht. Und es ist mindestens genauso sehr das Schweigen, wie es das Reden ist. Wer Jesus so sucht, dessen ganzes Leben ist vom Gebet durchdrungen, weil er sein ganzes Leben mit Gott teilt.

Ebenso, wie wir die Gemeinschaft mit Jesus alleine im Gebet brauchen, um in ihm zu bleiben, brauchen wir auch die Gemeinschaft mit anderen Christen. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Matthäus 18:30) Diese Gemeinschaft ist nicht eine Art Ersatz für die Gemeinschaft mit Jesus, solange er nicht da ist. Sondern sie ist gerade Ausdruck dieser Gemeinschaft mit ihm. Die Gemeinschaft mit uns aber ist Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus (1. Johannes 1:3).

Neben diesen beiden steht Gemeinschaft mit Jesus durch die Gemeinschaft mit den Schwachen und Ausgestoßenen. Die Ordnung der Benediktiner-Mönche drückt es so aus: Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden [im Kloster] zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen. Und Jesus selbst sagt es nicht viel anders: Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan (Matthäus 25:40).

Wer sein Leben darauf ausrichtet, in der Gemeinschaft mit Jesus zu sein, in dessen Leben werden diese drei immer mehr zum Ausdruck kommen. Dabei ist es Jesus allein, der diese Gemeinschaft überhaupt möglich macht, der uns in diese Gemeinschaft einlädt und uns die Kraft gibt, uns danach auszustrecken. Nichts davon ist unsere Leistung, unser Verdienst. Es ist Ausdruck ebenso wie Frucht der Gemeinschaft mit Jesus. Denn es gibt nichts Schöneres als die Gemeinschaft mit Jesus, als eins zu werden mit Gott und das Leben, zu dem wir berufen wurden, zu leben.

Gott aber, der reich ist an Erbarmen, hat uns in seiner großen Liebe, die er uns entgegenbrachte, mit Christus zusammen lebendig gemacht, obwohl wir tot waren in unseren Verfehlungen - durch Gnade seid ihr gerettet -, und hat uns mit ihm zusammen auferweckt und uns einen Platz in den Himmeln gegeben, in Christus Jesus.

So wollte er in den kommenden Zeiten den überwältigenden Reichtum seiner Gnade zeigen durch die Güte, die er uns erweist in Christus Jesus.
Epheser 2:4-7