Advent: der König kommt

Advent: der König kommt

Bist du schon im Weihnachtsstress? Hast du schon angefangen, Geschenke zu besorgen? Die Weihnachtstage schon geplant und organisiert? Warst du schon auf dem Weihnachtsmarkt, auf den Weihnachtsfeiern von Kollegen und Vereinen? Und hast du dabei nicht vergessen, ein Türchen im Adventskalender aufzumachen? Ich empfinde die Adventszeit oft als die stressigste Zeit im Jahr. Weihnachtsgeschenke besorgen, Weihnachtsfeiern besuchen, Weihnachtstage planen. Als wäre der normale Alltag nicht schon voll genug. Aber ist die Adventszeit nicht genau das: die Vorbereitung auf Weihnachten?

Als die Christen im vierten Jahrhundert angefangen haben, die Adventszeit zu feiern, war es zunächst eine Fastenzeit. Wie sie auch in den 40 Tagen vor Ostern fasteten, um sich innerlich auf das Osterfest vorzubereiten, haben sich die Christen sechs Wochen vor Weihnachten innerlich darauf vorbereitet, die Ankunft Jesu zu feiern. Besinnlich – ja, aber anders. Dabei hat die Adventszeit aber nicht auf das Weihnachtsfest, wie wir es heute kennen, hingeführt, sondern auf Epiphanias: die Erscheinung des Herrn.

Das Epihanias-Fest wurde von der frühen Kirche am 6. Januar gefeiert (der Tag, an dem Christen aus der orthodoxen Tradition bis heute Weihnachten feiern) und stelle zunächst die Taufe Jesu in den Mittelpunkt. Epiphanie, das war bei den Griechen das Wort für das Erscheinen einer Gottheit. Die römischen Kaiser, die sich selbst für göttlich hielten, ließen ihre Ankunft in einer Stadt als Epiphanie feiern und nannten es auf lateinisch Adventus. Als die Christen anfingen, die Taufe Jesus als Epiphanie zu feiern, machten sie damit deutlich: In seiner Taufe offenbart sich Jesus als Gott und Mensch, vollkommener Herrscher und vollkommener Diener. Was immer die römischen Kaiser von sich hielten, war nicht mehr als eine billige Fälschung des dreieinigen Gottes, der sich in der Taufe Jesu zu erkennen gab.

Im Laufe der Geschichte wurde dann die Geburt Jesu zu einem eigenen Fest, das am 25. Dezember gefeiert wurde, aber die Nähe zum Epiphanias-Fest blieb erhalten: das traditionelle Weihnachtsfest dauerte 12 Tage – vom 25. Dezember bis zum 6. Januar. Und auch die Bedeutung der Adventszeit blieb erhalten: die Vorbereitung auf das Erscheinen des göttlichen Königs.

Mit der Zeit wurde aber die Verbindung von Weihnachten und Epiphanias immer undeutlicher. Im Westen verlagerte sich der Fokus des Epiphanienfests von der Taufe Jesu zu den Heiligen Drei Königen, die Jesus an seiner Krippe aufsuchten. An Weihnachten (und im Advent) geht es fast nur noch um die Krippe und nicht um den König.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass uns das Bild vom Erscheinen des Gott-Königs unangenehm geworden ist. Denn wer in der Bibel nachliest, was das Kommen Gottes bedeutet, liest dabei auch vom Gericht:

Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er jedem vergelten nach seinem Tun.

— Matthäus 16:26

Ich beschwöre dich vor Gott und vor Christus Jesus, der kommen wird, Lebende und Tote zu richten, bei seinem Erscheinen [epiphaneia] und seiner Herrschaft.

— 2. Timotheus 4:1

Gericht und Vergeltung – das klingt für uns nicht nur äußerst unweihnachtlich, sondern ruft uns Bilder ins Gedächtnis, in denen ein strenger Richter über das Schicksal des Menschen urteilt und jeden in die Verdammnis schickt, der auch nur das kleinste Gesetz nicht ganz gehalten hat. Doch wenn die Bibel diesen Richter beschreibt, klingt das ganz anders:

Der Himmel freue sich, und es jauchze die Erde,

es brause das Meer und was es erfüllt.

Es frohlocke das Feld und alles, was es trägt;

jubeln sollen alle Bäume des Waldes

vor dem HERRN, denn er kommt,

denn er kommt, die Erde zu richten;

er richtet den Erdkreis in Gerechtigkeit

und die Völker in seiner Treue.

— Psalm 96:11-13

Das Kommen dieses Königs und seines Gerichts ist Grund zur Freude, nicht zur Angst. Warum?

Er richtet den Erdkreis in Gerechtigkeit,

spricht gerechtes Urteil den Völkern.

So wird der HERR eine Burg für den Bedrückten,

eine Burg in der Zeit der Not.

— Psalm 9:9-10

Mächtige hat er vom Thron gestürzt

und Niedrige erhöht,

Hungrige hat er gesättigt mit Gutem

und Reiche leer ausgehen lassen.

— Lukas 1:52-53

Das Kommen dieses Königs und seines Gerichts ist Grund zur Freude, weil dieser König und Richter die Unterdrückten befreit, die Niedergeschlagenen tröstet und die Gebeugten aufrichtet.

Der HERR befreit die Gefangenen.

Der HERR macht Blinde sehend,

der HERR richtet die Gebeugten auf,

der HERR liebt die Gerechten.

Der HERR behütet die Fremdlinge,

Waisen und Witwen hilft er auf,

doch in die Irre führt er den Weg der Frevler.

Der HERR ist König in Ewigkeit,

dein Gott, Zion, von Generation zu Generation.

— Psalm 146:7-10

Der König kommt, um die Gefangenen zu befreien und die Gebeugten aufzurichten. Das heißt aber auch im Umkehrschluss: Wer andere unterdrückt, ausbeutet, übervorteilt, wer es sich auf Kosten anderer gut gehen lässt, wer über Ungerechtigkeit hinwegsieht, wird Rechenschaft ablegen müssen, wenn der Gott-König erscheint. Nicht umsonst haben die frühen Christen die Adventszeit über gefastet. Es ging ihnen dabei nicht darum, sich das Leben unnötig schwer zu machen, sondern darum, Raum dafür zu schaffen, das eigene Herz zu prüfen, ob es noch auf dem richtigen Weg ist, oder ob sich Neid, Missgunst oder Gier eingeschlichen haben.

Für uns ist die Botschaft vom König, der kommt und die Erde richtet, kein weihnachtlicher Gedanke. Wir bleiben lieber bei dem süßen Kindlein in der Krippe, das uns nicht groß kritisiert oder herausfordert. Doch in einer Welt, die voller Unrecht ist, in der Menschen hungern und frieren, weil die Machtgier der Mächtigen keine Grenzen hat, ist das Erscheinen des Gott-Königs und seines Gerichts eine gute Nachricht und eine Freudenbotschaft. Wenn wir uns diese Botschaft bewusst machen, verschließen wir in der Adventszeit unsere Augen nicht vor Leid und Unrecht, sondern sehen es umso bewusster und beten umso intensiver, dass das Reich dieses Königs komme und der Wille dieses Königs geschehe – wie im Himmel, so auch auf Erden.

Bewahre das Gebot unbefleckt und untadelig, bis unser Herr Jesus Christus erscheint [epiphaneia], zur rechten Zeit, da ihn erscheinen lässt

der selige und alleinige Herrscher,

der König der Könige

und Herr der Herren,

der allein Unsterblichkeit hat,

der im unzugänglichen Licht wohnt,

den kein Mensch je gesehen hat noch zu sehen vermag.

Ihm sei Ehre und ewige Macht,
Amen.

— 1. Timotheus 6:14

Lo! he comes with clouds descending,
Once for favoured sinners slain;
Thousand thousand saints attending
Swell the triumph of his train:
Alleluia! Alleluia! Alleluia!
God appears, on earth to reign.

Every eye shall now behold him
Robed in dreadful majesty;
Those who set at nought and sold him,
Pierced and nailed him to the tree,
Deeply wailing, deeply wailing, deeply wailing,
Shall the true Messiah see.

Yea, amen! let all adore thee,
High on thine eternal throne;
Saviour, take the power and glory:
Claim the kingdom for thine own:
O come quickly! O come quickly! O come quickly!
Alleluia! Come, Lord, come!

(Charles Wesley, J. Cennick)