Schönheit

Schönheit

Vor ein paar Jahren haben wir vom Männerabend meiner Gemeinde eine jüdische Synagoge besucht. Es war ein Sonntagabend, an dem uns der Sprecher der Synagoge empfing und uns durch ihre Räumlichkeiten führte. Nach einer ausführlichen Frage- und Antwort-Runde mit regen Gesprächen fand der Abend seinen Höhepunkt in der Besichtigung des Gottesdienstsaals – und der Tora-Rollen. Unser Gastgeber zeigte uns den Stolz der Gemeinde: vier Tora-Rollen. Jede enthielt die gesamte Tora, uns meist als die fünf Bücher Mose bekannt. Die fast 80.000 Worte des Textes waren von einem speziell ausgebildeten Schreiber Hand geschrieben, wobei die Anfertigung einem strengen Prozess unterworfen war, der ausschloss, dass sich auch nur ein einziger Flüchtigkeitsfehler einschleichen konnte. Und nicht nur das: Die Rollen wurden in Behältern aufbewahrt, die mit feinen Mustern und kleinen Symbolen aus Silber und Gold verziert waren.

Wie viel diese Tora-Rollen wert seien, fragte jemand. Der Sprecher erklärte, dass die Anschaffung der kleinsten der Rollen über 10.000 Euro gekostet hat, während die größte von ihnen einen Wert von über 40.000 Euro hatte und dass all dies durch Unterstützung von Freunden auf der ganzen Welt ermöglicht wurde.

Ich glaube, wir Christen haben ein Problem mit Schönheit. Wir reden viel über Gott, das Kreuz, Gemeinde, Lobpreis, Gebet. Aber das Wort Schönheit scheint nicht zu unserem Vokabular zu gehören. Mir scheint, wir können damit nicht besonders viel anfangen. Schönheit liegt doch im Auge des Betrachters, richtig? Was ich schön finde, kann auf dich abstoßend wirken. Doch ist das alles? Ist Schönheit allenfalls Beiwerk, gewissermaßen ein Sahnehäubchen, das aber weder wesentlich noch entscheidend ist?

Besonders bei uns in den Freikirchen hat es eine lange Tradition, Schönheit ans Ende unserer Prioritätenliste zu stellen. Ich war in einigen katholischen und manchen evangelischen Kirchen, wo schon das Betreten des Gebäudes Staunen und Ehrfurcht auslöst. Doch nur selten löst eine Freikirche bei mir dieselbe Reaktion aus. Unsere Gebäude sind oft schlicht und funktional, die optische Wirkung am ehesten noch mit einer Hotel-Lobby oder einem Wohnzimmer vergleichbar ist. Kaum ein Gottesdienstbesucher wird sonntags nach Hause zurückkehren und sich auf dem Rückweg daran erinnern, welche Ehrfurcht unser Gottesdienstraum in ihm ausgelöst hat. Und das ist kein Zufall.

Als die Reformatoren damit begannen, die Art und Weise, wie der christliche Glaube zu ihrer Zeit gelebt wurde, zu hinterfragen, kamen Schönheit und Ästhetik schon sehr bald erst auf den Prüfstand und dann aufs Schafott. Sie sahen, dass Kunst in den damaligen Kirchen immer weniger ein Wegweiser zu Christus hin und stattdessen immer mehr zu einer Darstellung von Reichtum und Prunk geworden war. Dies war einer der Missstände, den die Reformatoren geraderücken wollten. Manche, wie Luther, sahen, dass Kunst einen wertvollen didaktischen Zweck erfüllen konnte und bemühten sich, Kunst in der Kirche neu auf Gott auszurichten. Doch andere, wie Zwingli und Calvin, nahmen an jedem Bild Anstoß – ganz gleich, was abgebildet war. Sie witterten in allem Gefahr, was von dem ihres Erachtens nach Wesentlichen ablenkte: der Predigt. Folglich verbannten sie jegliche Kunst aus ihren Kirchen – nur das gesproche Wort war von Bedeutung, der Rest war mehr oder minder egal. Und nicht nur das: Nicht selten stachelten Reformatoren ihre Anhänger so weit an, dass Kirchen stürmten, um Kirchenschätze, Gemälde, Skulpturen und Kirchenfenster von unschätzbarem Wert und unschätzbarer Schönheit zu zerstören.

Und wir? Wir leben in einer Welt, die von schönen Frauen und schönen Autos spricht, aber damit meint, dass die Frauen schlank und die Autos teuer sind. Wer heute von Schönheit spricht, meint damit das rein Äußerliche: was er oder sie sich an Kleidung, Make-up und Schmuck kaufen kann, um bei anderen einen besseren Eindruck zu hinterlassen. Schönheit selbst ist nur hier noch Mittel zum Zweck. Wer schön ist, ist beliebt, hat Einfluss, wird geachtet. Wer schön ist, zeigt, dass er Geld hat. Und Geld regiert die Welt. So verschwimmen Schönheit und Reichtum. Schön ist, was Geld kostet. Und wer Geld hat, gibt vor, was als schön angesehen wird.

In einer solchen Welt überrascht es nicht, dass viele Christen dieses Spiel nicht mitspielen wollen. Als Erben der Reformation ist unsere Antwort wenig überraschend: Weg mit Bildern! Raus mit allem, worin wir keinen direkten, unmittelbaren Nutzen sehen! Besonders schwer fällt uns das nicht: Gerade Freikirchen leben ja von Spenden, die oft gerade reichen, um das Notwendige zu finanzieren, aber darüber hinaus nur selten Spielraum bieten. Da erscheint es gerechtfertigt – nein, notwendig! – unsere ästhetischen Ambitionen auf ein Mindestmaß zu beschränken und unser Budget auf das zu beschränken, was wir vor den Spendern rechtfertigen können, sollte es mal Fragen geben.

Und dennoch: Sind die einzigen beiden Optionen kaputte, fehlgeleitete Kunst auf der einen und überhaupt keine Kunst auf der anderen Seite? Mir scheint, dass es einen anderen Weg geben muss, als auf der einen oder der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Und dabei muss ich an ein Wort denken, das Jesus gesagt hat: Sie hat eine schöne Tat an mir vollbracht.

Es ist die Woche vor dem Passah-Fest, dem für die Juden wichtigsten Fest, an dem sie die Befreiung aus der Gefangenschaft in Ägypten feiern. Für Jesus würde es das letzte Passah-Fest vor seiner Hingabe am Kreuz sein, mit dem er den ganzen Kosmos von der Gefangenschaft der Dunkelheit und des Todes befreit. Wenige Tage vor dieser Festwoche trägt sich ein merkwürdiges Ereignis zu. Während Jesus bei einem Freund in Bethanien zu Besuch ist, fängt Maria, die Schwester von Lazarus, völlig unvorhergesehen an, Jesus mit Öl zu salben – erst den Kopf, dann seine Füße. Den umstehenden Betrachtern bleibt der Mund offen stehen! Nicht nur, dass sie Jesus ungefragt viel näher kommt, als dem Anstand entsprach. Spätestens als der Duft des Öls den Raum erfüllt, wird deutlich, dass es sich um eine Flasche teuersten Nardenöls handelt. Wer diese Flasche verkauft hätte, würde umgerechnet fast 20.000 Euro dafür erhalten.

Es ist wenig verwunderlich, dass einige der Anwesenden, darunter auch Judas Iskariot, der Jesus später verrät, unmissverständlich klarmachen, wie wenig sie von dieser Aktion halten. Hätte man das Öl doch verkauft, wie vielen Armen hätte man damit helfen können! Wie viel Gutes hätte geschehen können, wenn man das Geld besser eingesetzt hätte! Und ganz ehrlich: Würden wir heute nicht ähnlich reagieren? Würde jemand in unseren Gemeinden vorschlagen, 20.000 Euro für ein Bild oder anderes Kunstwerk auszugeben, wären die Reaktionen wahrscheinlich ähnlich: Wieso nicht etwas Nützliches mit dem Geld tun? Warum nicht Leuten in Not helfen?

Alle Augen richten sich nun auf Jesus, voller Anspannung, wie seine Reaktion aussehen wird. Dann ergreift er das Wort: Lasst sie! Sie hat eine schöne Tat an mir vollbracht (Markus 14:6). Ja, ihr habt recht, was die Frau tat, war nicht notwendig. Es war nicht nützlich. Es linderte keine Not. Es war eine Verschwendung. Aber: es war schön. Und deshalb war es diesen Preis wert. Mehr noch! Was diese Frau getan hat, wird überall auf der Welt für alle Zeiten in Erinnerung gehalten werden. Was diese Frau getan hat, ist für die Ewigkeit (Markus 14:9).

Der Schlüssel zur Schönheit

Schönheit ist Geschmackssache. Dieser Satz fällt früher oder später, wenn man sich über Schönheit unterhält. Oder anders gesagt: Schönheitsideale gibt es nicht – es gibt nur Geschmäcker. Und Geschmäcker sind bekanntermaßen verschieden. Man muss dafür nur zum Beispiel nach Asien schauen: dort ist es fast unmöglich, ein Deo zu bekommen, das keinen Whitener enthält. Der Grund? In vielen asiatischen Ländern gilt es als schön, helle Haut zu haben. Während sich die deutschen Wiesen und Strände im Sommer mit Leuten füllen, die sich von der Sonne bräunen lassen, gibt es dieses Phänomen in diesen Ländern selten bis gar nicht. Ähnlich ist es beim Thema Musik. Ein paar Mal habe ich es erlebt, dass ich jemandem ein Lied gezeigt habe, das ich neu entdeckt habe und das ich sehr schön fand – und bin auf Unverständnis gestoßen, was an diesem Lied denn bitte schön sei.

Und dennoch habe ich den Eindruck, dass unsere Gesellschaft an diesem Punkt einer inneren Zerrissenheit unterliegt. Denn auf der einen Seite gilt Schönheit als relativ, aber auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel für Models und Schauspieler sehr wohl klare Schönheitsideale. Man stelle sich nur einen James Bond vor, der eher klein gewachsen ist, rote Haare und rundes Gesicht hat und mit einem dicken irischen Akzent spricht. Oder eine Marvel-Superheldin, die ein oder mehrere Kinder zur Welt gebracht hat und ihr Bauch die Spuren davon trägt. Beides würde sicherlich als Comedy durchgehen, aber den Titel Sexiest Man/Woman Alive würde dabei niemand denken.

Ist Schönheit in unserer Gesellschaft bloße Geschmackssache? Oder gibt es eine Definition von Schönheit, die sich hinter den Schönheitsidealen aus Film und Fernsehen verbirgt? Ich glaube: ja – auch wenn sie selten offen ausgesprochen wird. Wenn ich beobachte, was uns die Werbung zeigt, welche Bilder das Zeitschriftenregal im Supermarkt beherrschen und welche Idealvorstellungen uns in den Medien immer und immer wieder begegnen, scheint es mir, dass unsere Gesellschaft Schönheit über Macht und Reichtum definiert. Was immer sich Menschen mit viel Geld leisten können, ist schön – ob es gebräunte Haut in Mitteleuropa oder helle Haut in Asien ist. Autos und Wohnungen, die viel Geld kosten, werden allein wegen ihres Preisschildes als schön eingeschätzt. Und ebenso gilt als schön, was andere beeindruckt und was Einfluss und Ansehen vermittelt.

Das an sich ist natürlich ist das keine besonders tiefgreifende Beobachtung. Zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte wurden die Maßstäbe für das, was als schön gilt, von den Reichen und Mächtigen geprägt. Was mir heute anders zu sein scheint, ist dies: dass wir nicht einmal darüber nachzudenken scheinen, dass es auch anders sein könnte. In der Antike waren Teile der griechischen Philosophie waren geradezu besessen davon, den Schlüssel zur Schönheit zu finden. Dieser Schlüssel lag in ihrer Vorstellung in den Proportionen und Verhältnissen, die in der Natur vorkamen und aus denen sich Musik, Mathematik und alles andere herleiten ließ. Aber die Moderne scheint in der Suche nach dem Schlüssel zur Schönheit (oder wenigstens einem Ansatz dazu) gänzlich kapituliert zu haben. Nach den Alpträumen des Ersten und Zweiten Weltkriegs scheint es, dass der Nihilismus gewonnen hat, in dem es keine Schönheit gibt, sondern nur Gewalt, Machtkampf und Sinnlosigkeit – und Konsum.

Ich denke, also bin ich, hat René Descartes bekanntermaßen gesagt. Aber das Motto unserer Zeit scheint ein anderes zu sein: Ich bin, also kaufe ich. Denn wie kaum etwas anderes prägt Werbung unser Empfinden davon, was schön ist. Das Grundprinzip trägt den Namen AIDA. Attention (Aufmerksamkeit), Interest (Interesse), Desire (Begierde), Action (Handlung). Zuerst erobert Werbung unsere Aufmerksamkeit, sie springt uns förmlich ins Auge oder ins Ohr. (Wie viele Werbe-Jingles kennen wir auswendig?) Ein griffiger Slogan weckt unser Interesse. Daraus erwächst in uns die Begierde nach dem beworbenen Objekt, der uns schließlich zur Kaufhandlung treibt. Das AIDA-Modell ist ein Grundstein der Marketing-Industrie. Aber mich fasziniert daran besonders, dass es im Kern des Modells um unsere tiefen Sehnsüchte und um unser Begehren geht. Der Philosoph Charles Taylor beobachtet dazu:

Jeder Mensch und jede Gesellschaft lebt mit oder nach einer Vorstellung davon, was menschliches Wohlergehen ist: Was macht ein gutes Leben aus? Was macht das Leben wirklich lebenswert? Wofür würden wir die Menschen am meisten bewundern? Wir kommen nicht umhin, uns diese und ähnliche Fragen in unserem Leben zu stellen.

— Charles Taylor: A Secular Age

James K.A. Smith ergänzt zu dieser Vorstellung des guten Lebens, das wir begehren:

Was wir begehren oder lieben, ist letztlich eine (weitgehend unausgesprochene) Vorstellung davon, was wir uns erhoffen – wie das gute Leben unserer Meinung nach aussieht. Diese Vision des guten Lebens prägt alle möglichen Handlungen, Entscheidungen und Gewohnheiten, die wir unternehmen, oft ohne dass wir darüber nachdenken.

— James K.A. Smith: You are what you love

Die Werbeindustrie gibt wahnsinnige Summen Geld aus, um uns dieses Bild eines guten, erfüllten Lebens zu zeichnen. Ein Bild, in dem ein Produkt oder Artikel zum vollkommenen Glück nicht fehlen darf. Dieses Bild prägt unsere Herzen und auch unsere Schönheitsideale, meist, ohne dass wir es merken. Geld regiert die Welt. Und die Bilder aus der Werbung regieren unsere Herzen.

Gibt es einen Schlüssel zur Schönheit? Oder ist die Suche danach nutz- und hoffnungslos? Ich glaube, dass unsere Sehnsucht nach Schönheit kein Zufall und kein willkürliches Artefakt unserer Gene ist, sondern von Gott selbst in uns hineingelegt und in unsere Seelen verankert wurde. Und auch wenn ich bezweifle, dass wir das Geheimnis der Schönheit bis ins Letzte entschlüsseln können, glaube ich, dass wir auf der Suche nach diesem Schlüssel bei Gott anfangen müssen.

Ich glaube, dass Gott die Quelle der Schönheit ist. Oder anders gesagt, dass Schönheit das ist, was von Gott und seinem Wesen erzählt. Wenn das stimmt, dann hat Schönheit mehr mit der blühenden Lebendigkeit einer Blumenwiese gemeinsam als mit teuren Autos. Dann findet sich im Leben meiner Oma, das oft herausfordernd und manchmal unerträglich hart war, mehr Schönheit als in den Hochglanz-Lifestyle-Magazinen im Kiosk. Weil beides – die Blumenwiese sowie ein herausforderndes und dennoch gesegnetes Leben – mehr von Gott erzählen als teure Autos und schlanke Frauen.

Wenn Schönheit ihren Ursprung in Gott hat, dann ist alles, was Gott macht, schön. Und umgekehrt ist das, was schön ist, ein Fenster, indem wir etwas von Gott selbst erkennen. Dann bezeugt jede Blume seine Kreativität, jeder Baum seine Treue, jeder Berg seine Beständigkeit und jeder Sonnenaufgang seine Barmherzigkeit. Der Dichter Gerard Manley Hopkins hatte eine besondere Begabung, diese Schönheit wahrzunehmen:

I do not think that I have ever seen anything more beautiful than the bluebell I've been looking at. I know the beauty of our Lord by it. Its inscape is full of strength and grace.
Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas Schöneres gesehen habe als die Glockenblume, die ich gerade betrachte. Ich erkenne an ihr die Schönheit unseres Herrn. Ihr Inneres ist voller Kraft und Anmut.

— Gerard Manley Hopkins in einem Tagebucheintrag von 1870

An einer anderen Stelle beobachtet er:

The sun and the stars shining glorify God. They stand where He placed them; they move where He bid them. The heavens declare the glory of God. The birds sing to Him. The thunder speaks of His terror. The lion is like His strength. The sea is like His greatness, the honey like His sweetness. They are something like Him. They make him known, they tell of Him.
Die Sonne und die leuchtenden Sterne verherrlichen Gott. Sie stehen dort, wo Er sie hingestellt hat; sie bewegen sich, wo Er es ihnen befiehlt. Die Himmel verkünden die Herrlichkeit Gottes. Die Vögel singen Ihm zu. Der Donner spricht von Seinem Schrecken. Der Löwe ist wie Seine Stärke. Das Meer ist wie Seine Größe, der Honig wie Seine Süße. Sie haben etwas von Ihm. Sie machen Ihn bekannt, sie erzählen von Ihm.

— Gerard Manley Hopkins: The Principle or Foundation

Doch wenn Schönheit ihren Ursprung in Gott hat, hat das noch eine viel radikalere Konsequenz.

Beauty will save the world

Soviel uns die Schöpfung und Natur um uns herum uns auch über Gott offenbaren kann, wäre es verkehrt, dabei stehenzubleiben. Denn Gott ist kein allgemeiner, abstrakter Gott, kein Ideal, kein Gedanke und kein System. Wir können Gott nicht aus unseren Gedanken und Beobachtungen heraus erschließen. Nein, Gott offenbart sich unfassbar konkret: am Kreuz von Golgatha, wo er am Kreuz hängend unser Schicksal, unser Leid und unsere Not zutiefst teilt, wo er Kreuz seinen Peinigern Vergebung zuspricht, wo er sich in unsere tiefste Scham hinabbeugt, um uns von dort herauszuheben. Und wenn alle Schönheit ihren Ursprung in Gott findet, dann muss das Kreuz auch die ultimative Definition von Schönheit sein.

Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint das Kreuz nicht besonders schön. Im Gegenteil: Es ist ein Ausdruck von roher Gewalt und unbezwingbarer Macht. Zur Zeit Jesu war das Kreuz der Ausdruck der Unbezwingbarkeit des römischen Reiches. Es war ein Ausdruck von unaussprechlichem Schmerz und gnadenloser Brutalität. Es hatte also eine ästhetische Ausstrahlung einer Nuklearrakete oder einer Folterkammer. Und doch glaube ich, dass das Kreuz der schönste Ort der Welt ist, weil es alle unsere Vorstellungen von Macht zerschmettert.

Die Welt zur Zeit Jesu war besessen von Macht. Das Römische Reich, das zu der Zeit über Israel herrschte, der Inbegriff von Macht und Unbezwingbarkeit. Die Zeit war lange vergangen, als Rom eine kleine Stadt irgendwo in der italienischen Provinz war. Aus dieser kleinen Stadt erwuchs Rom, die Machtmetropole. Es war der Ort, wo die Geschicke der damaligen Welt gelenkt und entschieden wurden. Und mehr noch: Die römische Arme war der Inbegriff einer effizienten und effektiven Militärmaschine. Fast ein ganzes Millennium dominierten die Römer die Schlachtfelder. Römische Soldaten waren diszipliniert, trainiert, gut ausgerüstet. Sie waren Meister der Logistik und konnten selbst in feindlichem Gebiet Legionen von mehreren zehntausend Soldaten mit Nachschub versorgen. Sie waren an der Spitze des Fortschritts und der Innovation in Sachen Technik und waren brillante Strategen. Kurz gesagt: Wo die römischen Feldzeichen auftauchten, waren auch die römischen Legionen und damit die römische Herrschaft nicht mehr weit.

Jesus ist anders. Es ist bezeichnend, dass er seinen öffentlichen Dienst nicht in den Machtzentren der bekannten Welt verbrachte. Jesus hielt seine größten Predigten nicht in Rom, nicht in Ephesus, Alexandria oder Antiochien, sondern in Galiläa, einem aus römischer Sicht nicht besonders bedeutenden Winkel des jüdischen Hinterlandes. In seinen Predigten rief Jesus nicht zur gewaltsamen Revolution, nicht zum bewaffneten Widerstand gegen die römischen Besatzer, sondern zur Feindesliebe auf. Er erklärte, dass Größe darin bestand, anderen zu dienen. Und dass den Menschen, die in den Augen der Menschen am unbedeutendsten waren, bei Gott die größte Bedeutung zukam.

Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr sagt es zu Recht, denn ich bin es. Wenn nun ich als Herr und Meister euch die Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen.

— Johannes 13:13

Aber Jesus sprach nicht nur über Macht. Die Evangelisten berichten von zahllosen Begebenheiten, wo Jesus selbst die gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf stellt. Er lässt sich bei einem Zolleinnehmer, der von allen verachtet wurde, zum Essen einladen. Er lässt eine stadtbekannte Sünderin seine Füße salben. Er bleibt bei den Bettlern stehen, an denen alle andere genervt vorübergehen. Er wäscht seinen Jüngern die Füße, was sonst den Haussklaven vorbehalten war. Doch Jesus kam nicht als Philosoph und gutes Vorbild, um uns gute Gedanken über Macht weiterzugeben. Nein, er kam, um alle weltliche Macht selbst für immer zu entmachten. Und ich glaube, dass das am Kreuz geschieht.

In unserer Welt gründet sich Macht am Ende auf Gewalt, Einfluss oder Ansehen. Wie viel Blut wurde in der Menschheitsgeschichte vergossen, um Machtkämpfe auszutragen. Und wie viel Geld wird in unsrer heutigen Zeit ausgegeben, um Wählerstimmen zu erobern. Doch am Kreuz zeigt Jesus, dass es keine größere Macht gibt, als die Macht seiner rettenden Liebe. Jesus besiegt den größten Feind des Menschen, den Tod selbst. Und das tut er nicht durch Gewalt, sondern durch seine freiwillige und gewaltlose Hingabe am Kreuz. Er besiegt den Größenwahn unserer Welt, indem er sich klein macht. Und am dritten Tag steht er von den Toten auf und zeigt, dass diese Liebe, die sich selbst im wahrsten Sinne des Wortes aufopfert, stärker ist als der Tod.

Um diese Ereignisse am Kreuz dreht sich so ziemlich alles, was die Autoren des Neuen Testaments schreiben. Und auch wenn sie diese Ereignisse auf den ersten Blick nicht mit Schönheit in Verbindung zu bringen scheinen, schreiben die Autoren der Bibel doch deutlich mehr und deutlich klarer darüber, als der erste Blick erahnen lässt. Denn deutlich öfter als über Schönheit schreiben sie über Herrlichkeit.

Herrlichkeit ist einer dieser Begriffe, die wir unter Christen ständig benutzen, die sich aber bei genauem Nachdenken nur schwer fassen lassen. Klar ist: Gott ist herrlich. Aber was genau sagt das über Gott aus? Das griechische Wort doxa, das die Autoren des Neuen Testaments benutzen und das in unseren Bibeln als Herrlichkeit übersetzt ist, heißt zunächst Meinung, Ansicht oder Vorstellung – was zugegeben nicht besonders aufschlussreich ist. Doch in dem Wort steckt noch mehr: Gerade die biblischen Autoren meinen damit einen Glanz, einen Schein, ein Strahlen. Als der Apostel Paulus in der Apostelgeschichte von seiner Begegnung mit Jesus erzählt, beschreibt er, dass Jesus ihm in einem Licht erschienen war, so hell war, dass er augenblicklich daran erblindete:

Da ich, geblendet vom Glanz [doxa, Herrlichkeit] jenes Lichtes, nicht mehr sehen konnte, wurde ich von meinen Begleitern geführt und kam so nach Damaskus.

— Apostelgeschichte 22:11

Was ist Herrlichkeit? Es ist der Glanz, das Strahlen Gottes, die vollkommene Schönheit seines Erscheinens. Da, wo Menschen im Alten wie auch im Neuen Testament Gottes Herrlichkeit sehen, sehen sie immer diese strahlende, blendende Schönheit:

Und ich sah auf dem Thron die Gestalt von einem, der das Aussehen eines Menschen hatte. Und ich sah: Es war wie der Anblick von Bernstein, es hatte das Aussehen von Feuer in einem Gehäuse, aufwärts von dem, was aussah wie seine Hüften, und abwärts von dem, was aussah wie seine Hüften, ich sah etwas, das das Aussehen von Feuer hatte, und ringsum war ein Glanz. Wie das Aussehen des Bogens, der am Regentag in der Wolke ist, so war das Aussehen des Glanzes ringsum.
Das war das Aussehen der Gestalt der Herrlichkeit des HERRN. Und ich sah und fiel nieder auf mein Angesicht.

— Hesekiel 1:26-28

Und ich wandte mich um, die Stimme zu sehen, die zu mir sprach. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter, und inmitten der Leuchter eine Gestalt, einem Menschensohn gleich, gekleidet in ein Gewand, das bis zu den Füssen reichte, und um die Brust gegürtet mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar waren weiss wie weisse Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen, seine Füsse gleich Golderz, wie im Ofen geglüht, und seine Stimme wie das Rauschen vieler Wasser. Und in seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Antlitz leuchtete, wie die Sonne strahlt in ihrer Kraft.

— Offenbarung 1:12-16

Da, wo Gottes Herrlichkeit erscheint, erschüttert sie alle Anwesenden und durchdringt sie mit einer Ehrfurcht, die bis ins Mark geht. Gottes Herrlichkeit ist gewaltig, sie ist durch und durch beeindruckend und so vollkommen, dass es furchterregend ist. Doch ist Gottes Herrlichkeit bloß eine weitere Form von Macht, wie sie die Welt kennt? Besteht Gottes Allmacht darin, dass er über noch mehr Gewalt verfügen kann, als alle irdischen Mächte und Machthaber? Nein!, bezeugen die Autoren der Bibel. Die vollkommenste und klarste Offenbarung der Herrlichkeit Gottes ist Jesus.

Und das Wort [Jesus Christus], wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.

— Johannes 1:14

Die Leute, denen Jesus in seinem irdischen Dienst begegnet, begegnen eben nicht dem Gott der Macht, sondern dem Gott der Liebe. Und nicht nur das: die größte Offenbarung der Herrlichkeit Gottes ist das Kreuz:

Jesus aber antwortet ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.

— Johannes 12:23

So redete Jesus, und er erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche. Denn du hast ihm Macht gegeben über alle Sterblichen, damit er alles, was du ihm gegeben hast, ihnen gebe: ewiges Leben.

— Johannes 17:1-2

Ja, am Kreuz zeigt Gott seine Macht – indem er sich bis in den Tod erniedrigt und dennoch als Sieger über den Tod hervorgeht. Und das stellt unsere Vorstellung von sowohl Macht als auch Schönheit auf den Kopf. Die größte Macht, die es gibt, gründet sich nicht auf Gewalt, Einfluss oder Ansehen. Die größte Macht besteht nicht darin, sich groß zu machen. Im Gegenteil! Der, der den Tod besiegt hat, hat ihn durch seine freie und freiwillige Hingabe überwunden. Diese Macht ist die Macht seiner selbstlosen Liebe – eine größere Macht gibt es nicht. Und diese Liebe ist die vollkommene Offenbarung von Gottes Herrlichkeit und Schönheit. Aus dieser vollkommenen Schönheit entspringt der Glanz von allem, was schön ist. Und alles, was schön ist, ist letztlich ein Wegweiser und ein Wegbereiter dieser vollkommenen Schönheit.

C.S. Lewis ist vielen als Autor der Fantasy-Kinderbuchreihe Narnia bekannt. Doch Lewis selbst hielt ein anderes Werk für sein bestes: den Roman Du selbst bist die Antwort. Auf den ersten Blick ist es primär eine Neuerzählung der griechischen Sage von Armor und Psyche. Doch die griechische Erzählung wandelt Lewis an den entscheidenden Stellen ab und gibt ihr eine tiefere und zutiefst christliche Bedeutung. Der Höhepunkt der Geschichte besteht darin, dass Orual, die Hauptperson der Erzählung und die Schwester von Psyche, ihre Anklage gegen die Götter vorträgt, die ihrem Empfinden nach Unrecht an ihr begangen haben und erhält eine Antwort, mit der sie niemals gerechnet hätte. Doch dann wird sie an einen Ort gebracht, an dem sie nun vor Gott erscheinen soll:

Die Erde, die Sterne und die Sonne, alles, was war und sein wird, bestand nur um seinetwillen. Und er kam. Der Schrecklichste und der Schönste, der einzige Schrecken und die einzige Schönheit, die es gibt.
[...]
Ich weiß jetzt, Herr, warum du uns keine Antwort gibst. Du selbst bist die Antwort. Vor deinem Angesicht zerrinnen alle Fragen zu nichts. Und was für eine andere Antwort könnte uns genügen?

— C.S. Lewis: Du selbst bist die Antwort

Schönheit und Anbetung

Wenn Schönheit ihren Ursprung in Gott hat und Gott selbst die vollkommene Schönheit ist, dann ist Schönheit auch ein Weg, auf dem Gott sich uns offenbart und uns nahekommen will. Dann ist Schönheit nicht nur ein Thema für Philosophen und Künstler, sondern für jeden, der seinen Weg mit Gott geht. Ich habe das selbst eindrücklich erlebt, als ich während eines Urlaubs in Paris die Basilika Sacré-Cœur de Montmartre besucht habe. Es war ein normaler Touristen-Urlaub und ich hatte die Tage zuvor schon viel von Paris und seinen Sehenswürdigkeiten gesehen. Aber als ich diese Kirche betrat, war all das mit einem Mal wie weggewischt und ich musste mich auf eine der Bänke setzen, weil mich das Gemälde an der Decke des Chorraums, wo sich der Altar befand, so fesselte. Ich konnte nicht anders, als innezuhalten und zu beten.

Chorgemälde „Christus in Majestät“ der Sacré-Cœur de Montmartre, Paris (Peter Potrowl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Ich frage mich manchmal, wie es aussehen würde, wenn wir in unseren Gemeinden Schönheit ernst nehmen würden. Was ich sicher weiß: Schönheit ernst zu nehmen würde sich auf alle Bereiche der Gemeinde auswirken – von Architektur und Raumgestaltung über die Musik bis hin zur Gestaltung des Gottesdienstablaufes. Das heißt nicht, dass wir allen Trends und Moden unserer schnelllebigen Welt hinterherlaufen müssen (zumal wir damit sowieso in einem endlosen Rückstand gefangen wären). Es gibt so viele Kirchen, die viele Jahrhunderte alt sind und die bis heute an Schönheit nichts verloren haben, obwohl ihnen niemand alle 5 bis 10 Jahren ein Facelift oder ein Redesign verpasst hat.

Anstatt so modern wie möglich wirken zu wollen, ist es vielleicht gerade für uns in den Freikirchen eine Aufgabe, aus den vielen Jahrhunderten alter Traditionen zu schöpfen und zu lernen: Zu fragen, warum manche Texte, Gemälde und Musikstücke durch viele Jahrhunderte hindurch an Schönheit nicht eingebüßt haben. Und vielleicht auch zu hinterfragen, ob wir in unseren Gottesdiensten manche Lieder nicht nur deshalb spielen, weil sie neu und gerade populär sind. Aber nicht nur in der Gemeinde sollte Schönheit meines Erachtens nach eine größere Rolle spielen. Ich glaube, Schönheit hat auch viel mit der persönlichen Anbetung zu tun.

Das erste ist dies: Schönheit wahrzunehmen erfordert eine geschulte Wahrnehmung. Viele Kunstwerke können nur dann in ihrer Tiefe begriffen werden, wenn wir lernen, ihre Sprache zu verstehen. Das merke ich besonders bei klassischer Musik. Johann Sebastian Bach gilt als einer der größten Komponisten, die je gelebt haben. Seine Werke zeugen mathematischer Präzision, von einem brillanten Verständnis musikalischer Harmonie und einer einzigartigen Fähigkeit, sakrale und geistliche Texte und Themen in klangliche Meisterwerke zu verwandeln. Dennoch hat mich seine Musik über viele Jahre hinweg eher gelangweilt, obwohl ich in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen bin. Erst, als ich begonnen habe, mich damit zu beschäftigen, was Bach als Komponisten hervorhebt, dass ich begonnen habe, die Besonderheiten seiner Werke selbst wahrzunehmen. Ich weiß aber auch, dass für andere Leute Jazz ein großes Geheimnis und Rätsel ist, während mich diese Musikrichtung begeistert, seit ich zum ersten Mal ein Jazz-Notenbuch in der Hand gehalten habe.

Ja, es ist etwas Wahres dran, wenn Leute sagen, dass Schönheit relativ ist. Das Relative an der Schönheit liegt aber meiner Auffassung vor allem darin, dass sie ebendiese geschulte Wahrnehmung erfordert. Wer die Schönheit von Jazz-Musik wahrnehmen will, muss dafür die Sprache der Jazz-Musik lernen. Dasselbe gilt für klassische Musik und auch viele andere Arten und Richtungen der Kunst, deren Schönheit wir für subjektiv halten. Und das gilt auch für Begegnungen mit Gott in Lobpreis und Anbetung.

Wir können Gott nicht in Lobpreis und Anbetung begegnen, wenn wir uns nicht auf die Reise machen, Gottes Sprache zu lernen. Das gilt einerseits auf der Ebene der Bilder, Vergleiche und Metaphern, die die Bibel füllen. Die Bibel ist kein Sachbuch, das eine analytische Abhandlung über Gott zum Inhalt hat. Sie enthält neben Geschichtswerken und Chronologien einen bedeutenden Anteil an poetischen Werken: Lieder, Gedichte, Weisheitssprüche. Und selbst die geschichtlichen Teile sind oft in einer Form verfasst, der ein poetischer Aufbau zugrunde liegt. Wenn wir im Gottesdienst oder zuhause Lobpreislieder singen, die an diese poetische und literarische Tradition anknüpfen, hilft es sehr, die Sprache dieser Tradition zumindest in Grundzügen zu verstehen. Aber Gottes Sprache zu lernen heißt nicht nur (und auch nicht zuerst), sich intellektuell mit Textgattungen und alten Gedichten und Gebeten auseinanderzusetzen. Nein, Gottes Sprache zu lernen heißt auch, zu lernen, mit Gottes Herzen zu fühlen. Mitleid zu haben mit denen, mit denen Gott Mitleid hat. Traurig zu sein über das, was Gottes Herz betrübt. Sich an dem zu freuen, an dem Gott Gefallen hat. Wer auf diese Weise lernt, Gottes Sprache zu verstehen, wird Gottes Schönheit an Orten entdecken, an denen er sie niemals erwartet hätte.

Eine weitere Sache können wir von der Schönheit für die Anbetung lernen: Schönheit erfordert unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Das zeigt sich besonders in der Kunst – sowohl in der Ausstellung als auch auf der Konzertbühne. Man kann Bach oder Beethoven nicht nebenbei hören oder einen kurzen Blick auf die Bilder von Van Gogh oder Rembrandt werfen und dabei die Schönheit ihrer Werke erfassen. Kunst erfordert oft, dass wir uns Zeit für sie nehmen. Und Zeit haben wir in unserem modernen, hektischen Leben nur selten übrig. Wie viel von der Musik, die wir hören, ist nur ein Hintergrundrauschen, das wir suchen, weil wir die Stille nicht ertragen können, ob im Restaurant, beim Friseur, beim Autofahren oder beim Arbeiten? Dabei haben wir weder die Ruhe und Klarheit, die uns die Stille schenken würde, noch können wir die Schönheit der Musik würdigen, die uns zu Ohren kommt. Ich selbst ertappe mich immer wieder dabei, auch auf kurzen Autofahrten Musik anzumachen, ohne groß darüber nachzudenken. Wenn ich dann aber darüber nachdenke, merke ich oft, dass ich die Musik angemacht habe, damit ich meinen Gedanken keinen Raum geben muss. Und es kostet mich Überwindung, entweder die Musik auszuschalten oder solche Musik auszuwählen, die ich bewusst hören und wahrnehmen möchte. Denn Schönheit verbirgt ihren Zauber, wenn wir versuchen, sie zu konsumieren.

Die Gefahr des gedankenlosen Konsums gilt auch in der Anbetung Gottes. Wie oft bin ich bei den Liedern im Gottesdienst gedanklich woanders und singe mit, ohne es selbst zu merken. Aus dieser Konsumhaltung herauszukommen fordert von mir viel Konzentration und Kraft. Doch den ewigen Gott, der ohne Anfang und ohne Ende ist, kann ich nicht nebenbei konsumieren, während ich mit den Gedanken woanders bin. Ich muss mich auf ihn einlassen und ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Wenn ich das tue, merke ich, dass Gott schon da ist und auf mich wartet – ich bin es, der ständig woanders ist. Und wenn ich ihm diese Aufmerksamkeit gebe, merke ich, wie er mir auf eine Weise begegnet, für die im Lärm und in der Unruhe des Alltags kein Raum ist.

Ein letztes zeigt Schönheit über Anbetung: Schönheit offenbart uns über Gott, was nicht in Worten erklärt und in logischen Schlussfolgerungen beschrieben werden kann. Die Augenblicke der Schönheit, die mein Herz am tiefsten bewegen, sind die, deren Schönheit ich am wenigsten erklären oder in Worte fassen kann. So ging es mir mit dem Gemälde Christus in Majestät in der Basilika Sacré-Cœur. So geht es mir bei einigen Liedern, die mich immer wieder tief bewegen. So geht es mir bei Sonnenuntergängen oder Landschaften, deren Schönheit mich fesselt. Keine logische und sachliche Analyse der Welt kann diese Erfahrungen in ihrer Tiefe und Fülle erfassen oder gar ersetzen. Und so ist es auch letztlich mit Begegnungen mit Gott. Gott selbst ist größer als jede Logik und jeder Intellekt. Seine Geheimnisse können nicht logisch aufgeschlüsselt und analytisch untersucht werden. Seine Wege sind denen einleuchtend, die die Sprache Gottes erlernt haben und ist denen verborgen, die versuchen, ihn zu beherrschen oder zu konsumieren.

Schönheit – dieses große Geheimnis! Wer sich auf die Suche nach wahrer Schönheit macht, kann nicht an ein anderes Ziel gelangen, als wen er sich auf die Suche nach Wahrheit oder Gutheit machte, beim Ursprung und der Vollendung aller Schönheit, Wahrheit, Gutheit:  Jesus.

Make the most of beautiful moments. Beautiful moments predispose the soul to prayer; they make it refined, noble and poetic. Wake up in the morning to see the sun rising from out of the sea as a king robed in regal purple. When a lovely landscape, a picturesque chapel, or something beautiful inspires you, don’t leave things at that, but go beyond this to give glory for all beautiful things so that you experience Him who alone is come in beauty. All things are holy – the sea, swimming and eating. Take delight in them all. All things enrich us, all lead us to the great Love, all lead us to Christ.
Mach das Beste aus den schönen Momenten. Schöne Momente bereiten die Seele auf das Gebet vor; sie machen die Seele geläutert, nobel und poetisch. Wach morgens auf, um die Sonne aus dem Meer aufsteigen zu sehen, wie ein König in königlichem Purpur gekleidet. Wenn dich eine schöne Landschaft, eine malerische Kapelle oder etwas anderes Schönes inspiriert, dann belasse es nicht dabei, sondern gehe darüber hinaus, um alle schönen Dinge zu preisen, damit du den erlebst, der allein in der Schönheit gekommen ist. Alle Dinge sind heilig – das Meer, das Schwimmen und das Essen. Erfreue dich an ihnen allen. Alle Dinge bereichern uns, alle führen uns zu der großen Liebe, alle führen uns zu Christus.

— Porphyrios von Kafsokalivia


Schönheit, die die Welt erfüllt
Durch tausend kleine Ritzen quillt
Des Menschen tiefe Sehnsucht stillt

Schönheit voller Überfluss
Die sanft und still, so wie ein Kuss
Des Menschen Herz erfreuen muss

Schönheit, diese Symphonie
So klar und hell und rein ist sie
Bringt so den Menschen auf die Knie

Schönheit, die verborgen bleibt
Verdeckt vom Angesicht der Zeit
Gehüllt in tiefer Dunkelheit

Weil die Welt verblendet ist
Der Schönheit tiefen Glanz vergisst
Sich ständig an sich selbst nur misst

Den Schöpfer aus dem Blick verlor’n
Mit blindem Blick und tauben Ohr’n
Treibt uns ins Herz den giftig‘ Dorn

In hässlicher Verlorenheit
Entstellt und kalt und voller Leid
Wo Freund und Freund sich bald entzweit

Dort kommt der ew’ge Gottessohn
Tritt ein in seine Kreation
Als Bruder untern uns zu wohn‘

Vollendet so der Schönheit Glanz
Am Kreuz erwirbt den Siegeskranz
Entmachtet Tod und Hölle ganz

Denn Liebe ist der Schönheit Sinn
Der Schöpfer selbst gibt sich dahin
Der Schönheit Wesen liegt darin

Denn Hingabe mit aller Macht
Vertreibt der Dunkelheiten Nacht
Hat uns ins helle Licht gebracht

O Gott, vor deinem Angesicht
Der Dunkelheiten Macht erlischt
Vom Auge jede Träne wischt

Ja, das ist ist mein Herzenssehn‘
Für immer diesen Weg zu geh’n
Und vor der wahren Schönheit steh’n