Unbezahlbar

Unbezahlbar

Neulich hat es sich ergeben, dass mich der Inhaber eines Hotels durch seine Autosammlung geführt hat. Von den dreizehn Autos, die in der Garage standen, würde er am liebsten mit dem Ferrari 430 Scuderia fahren, erklärte er. Von der Serie wurden 2523 Exemplare gefertigt – und eins davon stand vor mir. Dann gab es den Lancia Martini 5, ein Rallywagen mit der Kennzeichen-Nummer 399. Dies sei ein Sammlerstück einer Sonderserie, von es nur 400 Stück gibt, erklärte der Sammler. Während ich so an den Autos vorüberging, versuchte ich im Kopf, den Gesamtwert der Sportwagen, die ich sah, zu schätzen. Ich kam zu dem Schluss, dass hier mindestens eine Millionen Euro in Autoform zugegen waren.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und schaute aus dem Fenster. Ein wunderschöner herbstlicher Sonnenaufgang erfüllte den Horizont. Die kühle Luft war glasklar, der Himmel wolkenlos und ging von einem hellen Orange am Horizont in ein helles Blau über. Ich musste einen Augenblick innehalten und dieses Bild auf mich wirken lassen. Ein Sonnenaufgang von solcher Schönheit war einfach nur da, ohne dass jemand auch nur einen Cent dafür bezahlt hätte. Man musste einfach nur da sein und hinschauen. Und dennoch war dieser Anblick im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar.

Arm oder reich?

Ich kann mich noch erinnern, wie ich als Kind mit meinen Eltern auf einem Spielzeugflohmarkt war. Es dauerte nicht lange, bis ich meine Eltern zu einer Modelleisenbahn schleppte, die mich in ihren Bann gezogen hatte. Die wollte ich haben! Doch so schnell ich meinen Wunsch ausgesprochen hatte, war er auch wieder geplatzt: Solche teuren Spielzeuge konnten wir uns nicht leisten.

Ein oder zwei Jahre später kam ich in den Kindergarten und freundete mich mit einem Jungen an. Als ich zum Spielen zu ihm kam, zeigte er mir seinen großen Stolz: eine riesige Modelleisenbahn im Keller. Ich war sehr beeindruckt. Und neidisch. Alles, wovon ich träumte, besaß er. Und mir wurde langsam klar, dass ich anders war. Dass ich – zumindest im Vergleich zu meinem Freund – arm war. Natürlich war dies nicht die einzige Erfahrung, die diesen Gedanken immer und immer wieder stärkte. Schulfreunde später hatten Spielekonsolen, coole Schulranzen oder Modellflugzeuge. Und ich? Meine Spielsachen kamen zu einem guten Teil von Cousins und Cousinen, die sie aussortiert hatten. Sie kamen von Flohmärkten oder wurden gebraucht gekauft. Neue Spielsachen gab es vor allem zum Geburtstag und zu Weihnachten. Wenn ich auf meine Freunde und Mitschüler schaute, gab es nicht viel, wo ich mit ihnen mithalten konnte.

Aber Zeiten änderten sich. Ich wurde älter und die Situation meiner Eltern veränderte sich. Es wurde häufiger, dass ich mir zum Geburtstag etwas Teures wünschen konnte und es auch bekam. Nach der Schule begann ich, neben dem Studium (das mir meine Eltern finanzierten) selber Geld zu verdienen, schloss mein Studium ab und begann, in Vollzeit zu arbeiten. Heute kann bei mir von Geldsorgen keine Rede sein. Selbst eine Spielekonsole, die ich als Kind nie haben konnte, steht in bei mir im Wohnzimmer. Und manchmal frage ich mich, ob nicht andere auf das Leben, das ich lebe, neidisch sind.

Es klingt nach einer simplen Geschichte: Arm aufgewachsen und dieser Armut entkommen. Doch es ist eine Lüge. Das wurde mir klar, als mich der Hotelinhaber durch seine Autosammlung führte. Während er seine Autos zeigte, empfand ich keinen Neid, auch wenn ich mir sicher war, dass es unglaublich Spaß machen müsste, diese Wagen mal zu fahren. Denn ich dachte auch darüber nach, wie reich meine Kindheit war.

Ich wuchs mit einer großen Verwandtschaft auf. Meine ersten Jahre lebten wir nicht weit von meinen Großeltern und zwei Tanten und ihren Familien. Meine Oma war meine erste Kindergärtnerin, noch bevor ich in den Kindergarten kam. Ich besuchte sie öfter und lernte bei ihr, Dame zu spielen und kleine Kunstwerke aus Papier zu falten. Meine Cousins und Cousinen waren mein erster Freundeskreis und meine erste Clique. Wir luden uns gegenseitig zu unseren Geburtstagen ein und trafen uns häufig zu Spielen. Und dann war da mein Bruder, der mit dem Tag seiner Geburt mein bester Freund wurde und mit dem ich zahllose Stunden gespielt, gestritten und mich wieder versöhnt hatte.

Und meine Kindergarten- und Schulfreunde? Selbstverständlich hatten auch sie Großeltern, Verwandtschaft und Geschwister. Und ich möchte nicht darüber urteilen, ob ihr Verhältnis zu ihnen besser oder schlechter war, als meins. Aber Jahre später bekam ich mit, dass sich die Eltern meines Kindergartenfreundes mit der Modelleisenbahn haben scheiden lassen. Ebenso die Eltern meines Schulfreundes, der die coole Playstation besaß. Ein anderer Schulfreund, der ebenfalls aus einem wohlhabenden Elternhaus kam, hatte fast permanent Streit mit seinem Bruder und sehr häufig Stress mit seinen Eltern. Und irgendwie wurde ich das Gefühl einfach nicht los, dass Geld in so vielen Fällen mehr mit Streit und Unfrieden zusammenhing, als mit Glück.

Besser ein trockener Bissen in Ruhe
als ein Haus voller Festspeisen mit Streit.
– Sprüche 17:1

Soll das alles heißen, dass sich Geld und Frieden ausschließen? Keineswegs! Und dennoch: Ich bin fest davon überzeugt, dass Geld nicht glücklich macht. Eher im Gegenteil: Wer versucht, durch Wohlstand glücklich zu werden, kann sich sicher sein, dass dieser sein Unglück nur größer machen wird. Und ich glaube, dass das mit der Lüge zu tun hat, die ich lange geglaubt habe: dass sich Armut und Reichtum an Finanzen misst.

Wenn wir eine Liste der reichsten Menschen der Welt aufstellen, dreht sich alles um eines: den Dollar. Wie viel Dollar (oder Euro) ist wert, was ein Mensch besitzt? Wer die größte Zahl vorweisen kann, ist der Reichste, ganz egal, ob er sein Vermögen auf dem Konto liegen hat oder in Autos, Häusern, Geschäften oder Aktien gelagert ist. Und dennoch würde ich sagen, dass ein Mensch mit einer glücklichen Familie, zwei oder drei guten Freunden und einem schlechten Einkommen reicher ist als jemand, dem die halbe Welt gehört, der aber einsam ist. Und reiche Menschen sind oft einsam.

Natürlich macht Armut nicht alles besser. Wer nicht weiß, wie er die nächste Miete oder gar die nächste Mahlzeit bezahlen soll, wird wahrscheinlich unglücklich sein, selbst, wenn er Familie hat (oder gerade weil er Familie hat). Wer hoch verschuldet ist, wird wahrscheinlich schlaflose Nächte haben, auch wenn ihm Freunde zur Seite stehen.

Wenn Geld an sich nicht glücklich macht, aber auch Armut nur Sorgen bereitet, dann liegt das Ideal in der Mitte zwischen diesen beiden, oder? Ich glaube: nein – die Antwort liegt ganz wo anders.

Wenn das Spiel zu Ende ist…

Wenn das Spiel zu Ende ist, landet alles wieder in der Kiste. Alle Karten, Spielfiguren, Chips, aber auch alle Errungenschaften und Erfolge. Im Leben ist es nicht viel anders. Was immer wir uns aufgebaut haben, ob Vermögen, Familie oder Freundschaften – nichts davon können wir mitnehmen, wenn wir den Weg zu unserem Schöpfer antreten. Denn ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass Gott wahnsinnig spannend findet, was auf unserem letzten Kontoauszug stand. Ebenso wenig können wir ihn damit beeindrucken, dass wir tolle Freundschaften hatten. Und auch unsere Familie oder Verwandtschaft ist viel mehr ein Geschenk von Gott als etwas, auf das wir mit Stolz zeigen könnten.

Was zählt dann, wenn wir vor Gott stehen?

Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie zerfressen, wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie zerfressen, wo keine Diebe einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
– Matthäus 6:19-21
Jesus blickte ihn an, gewann ihn lieb und sagte zu ihm: Eines fehlt dir. Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir!
– Markus 10:21

Ich glaube, wenn das Spiel zu Ende ist, zählen nicht die Schätze, die wir im Leben angehäuft haben, sondern ein ganz anderer Reichtum: nicht, was wir besessen haben, sondern, was wir aus Liebe verschenkt und gegeben haben.

Auch hier geht es nicht darum, die größtmöglichen Summen vorzuweisen, wie viel Euro wir gespendet oder Stunden wir verschenkt haben. Nein, es geht um unser Herz! Haben wir unseren Nächsten in Liebe höher geachtet als uns selbst? Waren wir bereit, unseren Stolz zu schlucken und unsere Bequemlichkeit aufzuopfern, um für andere da zu sein? Haben wir unsere Finanzen mit denen geteilt, die sie nötiger haben, als wir? Haben wir anderen Menschen offen und ohne Urteil zugehört, weil wir sie lieben und ihre Meinung schätzen? Ich glaube, dass es diese Dinge sind, wenn Jesus von Schätzen im Himmel spricht. Ich glaube, dass er von einem Leben spricht, dass von selbstloser Hingabe durchtränkt ist.

Ein solches Leben ist Reichtum, den man mit keinem Geld der Welt kaufen kann und der doch auf ewig bestand haben wird. Ein Reichtum, den keine Finanzkrise gefährden und kein Dieb stehlen kann. Ein Reichtum, der nicht von unserer finanziellen Lage abhängt und der auch für den ärmsten Bettler in greifbarer Nähe ist.


Von fernen Straßen und durch dunkle Gassen naht ein Bettler. Keine Stadt, die er betritt, heißt ihn willkommen. Kein Fürst empfängt ihn, keine Herberge öffnet ihm ihre Türen, keine Chronik verzeichnet seinen Besucht. Und dennoch: Wenn er weiterziehen wird, werden Menschen neue Hoffnung und Trost geschöpft haben und ihre Herzen ein wenig heller strahlen.

Wann immer der Bettler eine offene Tür findet, finden seine Gastgeber ein offenes Ohr. Denn der Bettler bringt mit sich eine Gabe, deren Wert die Welt um ihn herum vergessen hat: er hört zu. Er urteilt nicht, er bewertet nicht. Keine Kritik kommt aus seinem Mund, keine Vorschläge, kein Rat. Wer dem Bettler sein Herz öffnet, findet Mitgefühl. Der Bettler lacht mit den Fröhlichen, er weint mit den Traurigen, er leidet mit den Leidenden. Und wenn er ein Haus verlässt, hinterlässt er Hoffnung, Zuversicht und Frieden.

Der Bettler hat kein Hab und Gut, das er sein Eigen nennen kann, und dennoch gehört ihm die Welt. Er hat nichts zu geben, und gibt dennoch unaufhörlich. Er hat nichts zu bieten, und dennoch wird er mehr geliebt als Könige. Denn der Bettler hat eine Macht, die selbst Königen verwehrt bleibt: ein großes Herz. Er hat ein Gut, das selbst die Prächtigen nicht zu erreichen vermögen: Augen voller Mitgefühl.

Und derer sind viele, die von dem Bettler empfangen haben, doch nur wenige, die ihm auf seinem Pfad folgen. Denn nur die Mutigsten unter uns werden es erreichen, ihm ähnlich zu sein.