Come Hell or High Water

Come Hell or High Water

Come hell or high water. Im Englischen drückt man so eine Entschlossenheit aus, die selbst Hölle oder Hochwasser standhalten würde. Am 14. Juli kam in Teilen Deutschlands dieses Hochwasser. Und für die Menschen, die es traf, die Hölle. Fast 200 Menschen sind in der Katastrophe ums Leben gekommen. Die Aufräumarbeiten werden Monate, wenn nicht Jahre dauern und für viele wird es nie mehr normal werden, in den Häusern zu wohnen, die von braunen Wassermassen geflutet wurden.

Die Bilder machen mich betroffen und nachdenklich. Bilder von Häusern, die eingestürzt sind. War jemand zu Hause, als der Boden wortwörtlich wegbrach? Bilder von Straßenzügen, in denen meterhoch Wasser steht und vereinzelt Autodächer herausragen. War jemand im Auto, als das Wasser stieg? Kam das Wasser mit einer Welle, die alles überrollte oder gab es Zeit, sich in Sicherheit zu bringen? Was würde ich machen, wenn es plötzlich mich betrifft?

Es kann jeden treffen, sagen die Fachleute. Egal, ob du in Hamburg an der Elbe oder in der Münchener Innenstadt wohnst – nirgends bist du vor einer Sturmflut sicher und auch das bestgebaute Haus wird nicht standhalten, wenn der Boden unter dem Fundament weggespült wird. Man müsse lernen, mit der Gefahr zu leben, sagt ein Experte. Oder anders gesagt: Wenn das Wasser nur hoch genug steigt, hilft kein Deich, kein Damm und keine Hochwasserschutzwand. Und wenn der Trend so weitergeht, werden solche Unwetterkatastrophen eher noch zunehmen.

Wie kann man da nicht verzweifeln? Wie kann man bei solchen Prognosen Hoffnung haben? Und vor allem: Jesus, wo bist du in alldem!?

Jesus, wo bist du?

Jesus schläft. So fühlt es sich an, wenn ich die Bilder von der Katastrophe sehe. Wo immer er ist – das hier scheint er verpasst zu haben. Nicht viel anders haben sich Jesu Freunde gefühlt, als sie eines Abends mit ihm auf die andere Seite des Sees Genezareth übersetzen und von einem Sturm überrascht werden. Schnell wird ihnen klar, dass sie gegen solches Unwetter keine Chance haben. Ihren Versuche, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen, erweisen sich schnell aus aussichts- und hoffnungslos – der Wind ist zu stark und die Wellen zu hoch.

Wasser – diese Naturgewalt, die wir auch heute mit all unserer Technologie nicht beherrschen können und immer und immer wieder unterschätzen. Ein Kubikmeter Wasser wiegt etwa eine Tonne. Wenn sich das Wasser dann bewegt, übt es unvorstellbare Kräfte aus. Es reicht, wenn 15 cm Wasser mit einem Meter pro Sekunde bzw. 3,6 km/h fließen, um ein kleines Auto in Bewegung zu setzen. Bei einem halben Meter beginnen selbst schwere Fahrzeuge zu treiben. Wenn es noch höher steigt, wird es zum ungezähmten und unzähmbaren Chaos, das eine Spur der Verwüstung zurücklassen kann.

Es überrascht nicht, dass zur Zeit Jesu Wasser als ultimativer Ausdruck von Zerstörung und Chaos gesehen wurde. Viele Mythen der Vorzeit erzählten vom Kampf eines Gottes gegen das Chaos in Form eines Seeungeheures, infolgedessen die Welt und die Menschheit entstanden. Dieses kosmische Seemonster war auch den Autoren der Bibel bekannt, sie nannten es den Leviathan, der die Kraft der Vernichtung verkörperte. Doch sahen die biblischen Autoren im Leviathan nicht bloß eine Metapher, eine sprachliche Formel, sondern eine geistliche Realität. Unheil und Verderben waren der Inbegriff der Auflehnung gegen Gott und seine Schöpfung. Deshalb waren Chaos, Vernichtung und Verwüstung in ihren Augen das Wirken dämonischer Mächte – gefallener Engel, welche in ihrer Rebellion gegen Gott die Zerstörung der Menschheit herbeiführen wollten.

Als die Jünger auf dem See Genezareth mit den Wassermassen kämpfen, muss ihnen niemand erklären, dass es zugleich ein Kampf gegen dämonische Mächte war. Nein, sie konnten es sich gar nicht anders vorstellen. Hier war kein bloßes Wetterphänomen, das zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort auftrat. Hier tobte ein geistlicher Kampf und es war offensichtlich, dass sie ihrem Feind nicht gewachsen waren. Dann, mitten in ihrer Verzweiflung und Hilflosigkeit merken sie, dass jemand fehlt. Jesus hilft nicht mit, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen und gegen den Wind anzurudern. Schnell finden sie ihn. Er ist am Ende des Bootes und schläft auf einem Kissen.

Und sie wecken ihn und sagen zu ihm: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?
– Markus 4:38

Jesus, wir sind dem Untergang geweiht! Merkst du das nicht!? Warum tust du nichts? Warum kümmert es dich nicht, dass wir umkommen? Siehst du nicht, dass sich alle Mächte von Chaos und Zerstörung zusammengebraut haben, um uns zu verschlingen? Dass wir im Begriff sind, zu sterben?

Dem Wind und Wellen gehorchen

Da stand er auf, schrie den Wind an und sprach zum See: Schweig, verstumme! Und der Wind legte sich, und es trat eine große Windstille ein. Und sie gerieten in große Furcht, und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm selbst Wind und Wellen gehorchen?
– Markus 4:39,41

Man kann sich nicht ausmalen, was für eine extreme Gefühlsachterbahn die Jünger erlebten. Gerade eben kämpften sie um ihr Leben. Und anstatt dass Jesus mit anpackt und zum Ruder greift oder hilft, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen, tut er etwas, das sie nie im Leben erwartet hätten: Er befiehlt dem Chaos. Und das Chaos gehorcht.

Einige Augenblicke brauchen sie wahrscheinlich, um zu merken, dass sie nicht träumen. Dass sie nicht im Totenreich sind und Fantasien erleben. Nein, der Sturm, der gerade noch ihr Leben bedrohte, hat nicht einfach nur nachgelassen, sondern ist komplett verstummt. Das Wasser, das sie gerade noch ertränken wollte, bewegt sich kaum mehr. Und nur Minuten, nachdem sie um ihr Leben fürchteten, werden sie erneut von Furcht überwältigt. Furcht, weil sie die Welt nicht mehr verstehen. Furcht, weil sie zu ahnen beginnen, dass der allmächtige Gott, Schöpfer des Universums und Befehlshaber der himmlischen Armeen mit ihnen im Bott war und auf einem Kissen geschlafen hat.

Dass Jesus die Macht hatte, Krankheiten durch sein Wort allein zu heilen, hatten sie viele Male erlebt. Doch hier hatten sie es mit dem Chaos selbst, der dämonischen Macht von Zerstörung und Vernichtung zu tun, das Jesus mit seinem Wort in die Schranken weist. Konnte es wirklich sein, dass ihr Freund und ihr Lehrer, den sie so gut kannten und mit dem sie durchs Land zogen, viel mehr war, als sie erahnen konnten? Dass der, der mit ihnen durch die staubigen Straßen Galiläas zog, der war, der mit seinem mächtigen Wort Himmel und Erde ins Dasein gerufen hat?

Und doch: Wenn wir nach draußen schauen, scheint all das nur ein schwacher Trost zu sein, Ja, Jesus hat das Chaos für einen Augenblick zurückgeschlagen, aber wer in die Nachrichten oder aus seinem Fenster schaut, sieht eine Welt, in der die Mächte von Unheil und Zerstörung ungehindert und ungebändigt wüten. Und stellen uns wieder und wieder dieselbe Frage: Jesus, wo bist du?

Tod, wo ist dein Stachel?

An jenem Tag wird der HERR mit seinem schweren, großen und starken Schwert den Leviatan heimsuchen, die flüchtige Schlange, den Leviatan, die gewundene Schlange, und er wird das Ungeheuer umbringen, das im Meer ist.
– Jesaja 27:1
Der du uns viel Angst und Not hast erfahren lassen,
du wirst uns wieder beleben,
und aus den Fluten der Unterwelt
wirst du mich wieder heraufführen.
– Psalm 71:20

Was wäre notwendig, um die Mächte von Chaos und Zerstörung nicht bloß vorübergehend zurückzuhalten, sondern sie endgültig und für alle Zeit zu entmachten? Wie lässt sich die Vernichtung vernichten?

Wenn man Denker wie Nietzsche fragt, geben sie eine klare Antwort: Das Universum ist ein einziger großer Machtkampf und wer den größten Willen zur Macht hat, wird seine Feinde unterwerfen oder vernichten. Am Ende gewinnt der Tyrann. Das letzte Wort hat immer das Chaos. Und es ist nicht schwer zu sehen, dass die Logik unausweichlich scheint: Entweder hast du Willen zur Macht und unterwirfst gewaltsam, was sich dir entgegensetzt. Oder du wird von jenen überrollt, die stärker sind als du. Oder anders gesagt: Der einzige Weg, der Tyrannei zu entkommen ist, sich selbst an den Gipfel zu kämpfen, selbst der Tyrann zu sein.

Diese Vorstellung mag vielleicht abschreckend und falsch wirken, und doch muss man weder Historiker noch Politikwissenschaftler sein, um zu sehen, wie viel Weltgeschichte von diesem Gedanken angetrieben wurde und wie viel Weltgeschehen sich von diesem Denken nährt. Herrscher, die ihr Reich um jeden Preis expandieren; Imperien, die andere Völker unterwerfen, um sie auszubeuten; Unternehmen, die jede Konkurrenz mit lauteren und unlauteren Mitteln auslöschen wollen; Politiker, die trotz aller schönen Worte nur ihre eigene Haut im Sinn haben und bereit sind, jedes Versprechen zu brechen, wenn es zu ihren Vorteil ist.

Doch ist das wirklich unser Schicksal? Dass am Ende der Wille zur Macht und Chaos gewinnen und es keinen Weg gibt, das zu verhindern? Ich sehe nur einen Ausweg: Wenn Licht stärker ist als Finsternis, Wärme stärker als Kälte, Liebe stärker als Hass. Denn Licht überwindet Dunkelheit ohne auch nur ein Anzeichen von Gewalt. Es überwindet Dunkelheit allein durch seine Anwesenheit – ohne eine Spur von Zerstörung oder Vernichtung. Es erfülltdie Dunkelheit mit sich selbst und augenblicklich ist die Macht der Dunkelheit gebrochen.

Die gute Nachricht dabei: genau das ist geschehen!

In ihm war Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
– Johannes 1:4-5

Wenn man mit dem christlichen Glauben aufwächst, fällt es oft schwer, die unglaubliche Tragweite und tiefe Bedeutung dessen, was Jesus am Kreuz vollbringt, zu begreifen. Dann ist Jesus zuerst meinRetter, der mir in meiner Not hilft. Und obwohl diese Erkenntnis wichtig ist und niemals vernachlässigt werden darf, ist es ebenso verkehrt, dabei stehen zu bleiben. Jesus kam nicht einfach, um mich oder dich besser zu machen, sondern um Tod, Chaos und Vernichtung für alle Zeiten zu entmachten. Er kam, um den gesamten Kosmos von der Macht der Zerstörung zu befreien. Und er tut es auf eine Weise, die niemand geahnt hätte.

Immer wieder hatte Jesus davon gepredigt, dass wahre Größe nicht der zeigt, der Gewalt ausübt, sondern sich ganz hinten anstellt. Wiederholt sprach er davon, dass der rechte Umgang mit Feinden nicht darin besteht, sie zu überwältigen, sondern sie zu lieben. Und dennoch war die Erwartung seiner Hörer – und auch seiner engsten Freunde –, dass er nur wenig später die Römer entmachten und die Herrschaft an sich reißen würde. Sie konnten sich keine andere Macht vorstellen, als die von Gewalt und Zerstörung.

Doch als Jesus am Kreuz seinen letzten Atemzug aushaucht und das Licht des Lebens zu erlöschen scheint, geschieht so viel mehr, als dass ein Herz zu schlagen aufhört. Jesus, der die Welt erschaffen hatte, dessen Wort Wellen und Wind Einhalt geboten hatten, lässt sich von Strom der Vernichtung und Gewalt fortschwemmen hin an tiefsten Ort der finstersten Nacht und Verzweiflung. Er begibt sich – so bekennen wir es im Glaubensbekenntnis – tief in das Reich des Todes, wo nur noch Chaos herrscht. Und diesen Ort füllt er mit sich selbst, seinem Licht, seiner Liebe, seiner Güte. Er überwindet die Nacht, indem er selbst die Finsternis mit seinem Licht erhellt.

Verschlungen ist der Tod in den Sieg.
Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?
– 1. Korinther 15:54-55

Wie kann der Tod jetzt noch Macht ausüben? Wie kann er uns jetzt noch einschüchtern oder verängstigen, wenn wir doch wissen, dass Jesus bis ins Totenreich hinabgestiegen ist, um uns von dort zu befreien? Ja, noch ist die Zeit nicht angebrochen, wo Chaos und Vernichtung für immer vergangen sind. Und doch ist ihr Wüten für uns nur noch leere Drohung, denn nicht einmal sie können uns von Jesus trennen! Dieses Wissen gab Paulus die Sicherheit, mit der er dem Tod ohne Furcht gegenübertreten konnte:

Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir nun leben oder sterben, wir gehören dem Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden: dass er Herr sei über Tote und Lebende.
– Römer 14:8

Jesus, Jesus allein ist der Herr über Lebende und Tote. Für dieses Bekenntnis sind Christen durch alle Zeiten hindurch bis heute bereit, ihr Leben zu lassen. Was können ihnen weltliche Machthaber antun? Der, zu dem sie sich bekennen, wird sie eines Tages genauso zu neuem, ewigen Leben auferwecken, wie er selbst aus dem Totenreich ins Leben zurückgekehrt ist. Was können die Mächte von Chaos und Dunkelheit ihnen anhaben? Der, auf den sie vertrauen, hat Chaos und Dunkelheit entmachtet und in Fesseln gelegt. Bis heute bekennen sie zusammen mit Paulus:

Denn ich bin mir gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
– Römer 8:38-39

Vertraust du mir?

Jesus, wo bist du?

Diese Frage drängt sich uns immer wieder auf, wenn wir Bilder von Katastrophen sehen. Doch wir übersehen, dass Jesus da ist! Er ist dort, wo Chaos herrscht und Vernichtung wütet. Er ist dort, wo der Tod das scheinbar letzte Wort gesprochen hat und Gewalt und Verwüstung zurückbleiben. Er ist dort, um diese Orte mit seinem Licht und seiner Liebe zu erfüllen. Er ist dort, um die Hoffnung der Auferstehung und den endgültigen Sieg über Hölle und Hochwasser zu verkünden.

Er ist in jedem Menschen, der im Vertrauen auf ihn dorthin geht, wo Dunkelheit herrscht, um Licht zu bringen. Er ist in jedem Menschen, der von seiner Liebe dazu angetrieben wird, anderen Menschen in Leid und Not zu begegnen. Er ist in jedem Menschen, der im Großen oder im Kleinen, in Worten oder in Taten Jesus Christus als den Sieger über Chaos, Tod und Dunkelheit bezeugt.

Er ist in Menschen wie Hubert Schilles.

Es war der zweite Tag nach dem Unwetter. Zwei Tage liegt der Starkregen zurück, der so viel Zerstörung angerichtet hat. Doch an der Steinbachtalsperre ist die Gefahr noch immer nicht gebannt. Die gewaltigen Wassermassen haben die Talsperre bis zum Überlaufen gefüllt, sodass diese unter der gewaltigen Last der Wassermassen zu bersten und die Häuser von tausenden Menschen zu zerstören droht. Einsatzkräfte von Feuerwehr und THW tun, was in ihrer Macht steht und doch scheint die Lage verzweifelt, ja aussichtslos.

Am 16. Juli fährt Hubert Schilles mit seinem Bagger auf die andere Seite der Talsperre, wo ein Ablaufkanal blockiert war. Nur wenige Meter neben ihm steht die 18 Meter hohe Wand der Talsperre, zum Bersten gefüllt. Ein Brechen der Talsperre hätte seinen sofortigen Tod bedeutet. Doch er schafft es, den Abfluss frei zu machen und damit den Damm vor dem Brechen zu retten.

Doch Schilles sieht sich nicht als Held und mir scheint, er wolle auch nicht als Held gesehen werden. Auf die Frage eines Reporters, woher er die Zuversicht genommen hatte, sein Leben aufs Spiel zu setzen, antwortet er:

Wissen Sie, ich bin ein gläubiger Mensch. Ich habe mich zwei Mal gesegnet als ich runter gefahren bin. ‘Du Herr, musst wissen, was passiert’, habe ich gesagt. Und ich hatte keine Sekunde Angst.

Jesus, wo bist du? Wie auch die Jünger im Sturm stellen wir uns immer wieder diese Frage. Doch er fragt zurück: Vertraust du mir?