Hoffnung in der Krippe

Hoffnung in der Krippe

Ist es nicht süß, wie das Kindlein in der Krippe liegt? So ruhig, so still, so besinnlich… So weihnachtlich eben. Oder nicht?

Besonders weihnachtlich scheint es dieses Jahr nicht zu werden. Ja, die Straßen sind mit Lichterketten und Weihnachtsdekoration geschmückt, im Radio und in den (noch offenen) Läden läuft Weihnachtsmusik, sicher haben einige Geschäfte auch wenigstens einen Teil ihres ersehnten (und überlebensnotwendigen) Weihnachtsumsatzes einbringen können. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Weihnachten, an das wir uns gewöhnt haben, zumindest in seiner bekannten Form auszufallen scheint: Keine Weihnachtsmärkte. Kein großes Weihnachtsshopping. Keine gemeinsam gesungenen Weihnachtslieder. Keine voll besetzten Weihnachtsgottesdienste. Und doch festigt sich in mir die Überzeugung, dass uns das Wichtigste an Weihnachten erhalten bleibt.

Kaputte Welt

In großen Teilen der bekannten Welt herrscht Unruhe, Chaos oder noch Schlimmeres. Nein, damit sind nicht unsere Umstände gemeint, auch wenn es sehr zutreffend klingt. Dies ist die Welt, in die Jesus hineingeboren wurde. Kaiser Augustus, der dreißig Jahre zuvor die römischen Bürgerkriege für sich entscheiden konnte hatte zwar den Pax Romana, den römischen Frieden, für die ganze Welt ausgerufen, doch der Frieden war drauf und dran, diese Welt zu verlassen. Immer wieder gibt es im römischen Reich Aufstände, die fast alle blutig beendet werden. Auch Israel, das seit einer Generation unter römischer Herrschaft steht, steht vor der zerreißenden Frage: Sich der griechisch-römischen Lebensweise fügen oder der jüdischen Tradition treu bleiben? Herodes der Große, der von Rom abgesegnete „König“ war seine ganze Regierungszeit hindurch davon besessen, seine Loyalität und Treue zu Rom und Kaiser Augustus unter Beweis zu stellen. Und auch wer im aufblühenden Handel Erfolg haben wollte, musste mit den Römern kooperieren. Doch zugleich regte sich im Volk auch immer mehr Widerstand gegen die Besatzer. Immer häufiger traten Rebellen auf und versammelten Anhänger um sich, um sich die verhassten Römer vom Leib zu schaffen. Doch keiner der Aufstände ist erfolgreich, alle werden sie von den Römern blutig beendet.

Doch ich glaube, dass Maria und Josef daran nur wenig gedacht haben, als sie ihr Kind in die Krippe legen. Sie müssen ganz andere Sorgen gehabt haben. Nicht nur, dass Maria gerade die Strapazen einer Geburt hinter sich hat. Nicht nur, dass die Unterkunft ein wenig improvisiert und der Geruch der Schafe, Esel und anderen Nutztieren bestimmt nicht sonderlich angenehm war. Nein, vor ihnen lagen noch andere Herausforderungen: Was werden wohl die Leute denken, besonders Verwandte und Freunde aus der Heimatstadt? Die waren ja schließlich nicht ganz blöd und konnten sich ausrechnen, dass Jesus entweder vor der Hochzeit von Mafia und Josef gezeugt wurde und damit ein voreheliches Kind war. Oder, noch schlimmer, dass Josef vielleicht gar nicht der Vater und Jesus damit ein uneheliches Kind war. Aber ganz sicher ist, dass sich Jesu Eltern auf unangenehme Gespräche und drückende Stille einstellen mussten, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren würden. Wer seine Familie blamierte, würde die Folgen davon noch lange danach spüren.

Ich weiß nicht, ob Jesus das Stigma über seine Geburt und die damit verbundenen Gerüchte zu Zeiten seines öffentlichen Wirkens je ganz losgeworden ist. Doch so oder anders – die Welt, in der Jesus aufwuchs und in der er auch später öffentlich wirkte war mehr als turbulent. Herodes der Große, der in seinen letzten Jahren zunehmend unzurechnungsfähig wurde, war gestorben und den auf seinen Tod folgenden Kampf um die Nachfolge beendeten die Römer, indem sie sein Reich durch drei teilten. Zugleich erhielten die Zeloten, eine Bewegung von frommen, militanten Juden, in ihrem Guerillakrieg gegen die römischen Besatzer immer mehr Zulauf. Auch die Pharisäer machen immer mehr Stimmung gegen die Römer, aber auch gegen die Sadduzäer, die im Tempel das Sagen haben. Die Welt war ein Pulverfass, das beim kleinsten Funken zu explodieren drohte. Wenn nur ein Retter kommen würde…

Rettung in höchster Not

Wenn wir in wenigen Tagen zum Weihnachtsfest zusammenkommen, wird wahrscheinlich vielerorts eine bedrückende Stimmung herrschen. Die Gemütlichkeit, Besinnlichkeit und Vertrautheit, die für uns so fest zur Weihnachtszeit gehört, wird durch die Schwere der Ungewissheit über die Zukunft getrübt. Und doch liegt gerade darin eine Gelegenheit, ein Weihnachten zu feiern, in dem die Hoffnung in der Krippe neu zum Mittelpunkt des Festes wird. Denn ganz ehrlich: Das meiste von dem, was uns so sehr fehlt, ist am Ende des Tages nicht das, worum es an Weihnachten im Kern geht. Was Weihnachten ausmacht ist nicht die Gemütlichkeit, Besinnlichkeit, die Feier im Familienkreis, sondern dass Jesus als Licht der Hoffnung in eine Welt voller Dunkelheit kommt.

Es klingt für uns so plattgetreten: Jesus kommt als Retter in die Welt. Aber ich habe das Gefühl, dass diese Botschaft in diesem Jahr eine besondere Bedeutung bekommt. Weil wir wie selten zuvor spüren, wie sehr wir Rettung brauchen. Ich kann nicht zählen, wie oft ich gehört habe, dass Jesus als Retter in die Welt kam, doch selten habe ich realisiert, dass er als Retter in höchster Not kommt. Dass die Botschaft vom Retter für die Leute, die davon hörten, eine unglaubliche und unfassbar frohe Botschaft war.

Wir lesen so schnell darüber hinweg, dass die Hirten, nachdem sie Jesus gesehen haben, das Grinsen nicht mehr aus ihrem Gesicht und die Loblieder nicht mehr aus ihrem Mund kriegen können. Sie hatten begriffen: Wenn hier wirklich der von Gott verheißene Retter in der Krippe liegt, dann wird nichts mehr so bleiben, wie es war! Dann sind die Armen reich und die Reichen arm, dann sind die Starken gestürzt und die Schwachen erhoben. Wenn der Retter als kleines Kind zur Welt kommt, dann muss die Rettung dort anfangen, wo Menschen schwach und von aller Hoffnung verlassen sind. Dort, wo die Not am größten ist. Und dann ist auch meine ganz persönliche Not darin eingeschlossen.

In diesem Jahr merke ich, dass ich Weihnachten – das Kommen Jesu – brauche. Dass es nicht ein schönes Fest, sondern meine letzte Hoffnung ist. Denn wenn Jesus, der in eine Welt der Dunkelheit und der Ungewissheit kam, mir nicht in meiner eigenen Dunkelheit und Ungewissheit begegnet kann, kann es niemand. Wenn Jesus nicht Licht in die Finsternis meines Herzens und meiner Umstände zu bringen vermag, kann es niemand anders. Das bedeutet nicht, dass sich sofort alles ändert, wenn Jesus in mein Leben einzieht. So war es nicht, als Jesus im Stall in Betlehem lag. Es würden noch dreißig Jahre vergehen, bis Jesus am Kreuz den Tod und die Mächte der Dunkelheit ein für alle Mal besiegt. Dreißig Jahre würden sich Maria und Josef noch fragen, wie die Rettung wohl aussehen würde, die ihnen in der Krippe zugesagt war.

Und doch wurde in diese Augenblick die Welt auf den Kopf gestellt: In der Krippe lag der König, der als Diener kam. Der Ewige, den die Himmel nicht fassen können, hat sich klein gemacht und lag hilflos da, abhängig von der Fürsorge und Hingabe von Maria und Josef. Er, der zu groß für diese Welt ist, ist selbst Teil der Welt geworden. Weil er unsere Nöte kennt, weil sie ihm so wichtig sind, dass er sich selbst in unsere Schwierigkeiten und Herausforderungen hineinbegibt, um uns genau dort zu begegnen.

An Weihnachten begegnet uns Jesus da, wo wir sind. Nicht in unseren Stärken, unseren Glanzleistungen, unseren Heldentaten. Sondern dort, wo wir eigentlich keine Hoffnung mehr erwarten. In unsere Unvollkommenheit. In unsere Zerstrittenheit. Er erwartet keinen roten Teppich, keine auf Hochglanz polierten Lebensumstände. Was er sich wünscht, findet sich in dieser Zeit in jedem Haus: eine Krippe. Wenn wir ihm nur die Tür aufmachen.

Deswegen feiern wir Weihnachten: Weil Jesus kommt, um Rettung zu bringen. Weil Jesus kommt, um uns in unserer Not, wie immer diese aussehen mag, zu begegnen. Weil er auch dich und mich ganz persönlich meint. Und weil es die Hoffnung der Krippe ist, die den Tod besiegt, die Dunkelheit vernichtet und in das Leben der Ewigkeit einlädt.

Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht’,
wie schön sind deine Strahlen!

– Ich steh an deiner Krippen hier, dritte Strophe (Paul Gerhardt)