Glaube im Exil

Glaube im Exil

Fast sechs Monate lang sind wir alle auf gewisse Weise nicht mehr zuhause gewesen. Die Corona-Krise hat so vieles auf den Kopf gestellt und obwohl sich das tägliche Leben inzwischen wieder halbwegs normal anfühlt, bleibt doch die Sehnsucht nach Zuhause – nach dem Leben, wie es sein war, wie es sein sollte und wie wir es kennen.

An wenigen Orten spüre ich diese Sehnsucht nach Zuhause so intensiv wie im Gottesdienst. Obwohl so viel Vertrautes – die sonntäglichen Gottesdienste, gemeinsames Gebet oder Gespräche nach dem Gottesdienst – wieder seinen gewohnten Platz eingenommen hat, spüre ich jeden Sonntag neu, dass es nicht das Zuhause ist, das ich kannte: Das gemeinsame Singen fehlt, ebenso das Umarmen von guten Freunden und der Gottesdienstsaal wirkt nicht so voll, wie er es früher war.

Ich spüre dann ich den Impuls in mir, all dem nicht zu viel Gewicht zu geben: In einem Jahr wird bestimmt alles wieder beim Alten sein und übernächstes Jahr werden wir uns kaum noch daran erinnern, wie es war, als Gottesdienste Corona-bedingt abgesagt wurden. Und vielleicht ist ja die Zwangsdigitalisierung eine Gelegenheit für die Kirche, Gott zu den Menschen zu bringen, die im Leben nicht auf den Gedanken kämen, selbst Fuß in einen Gottesdienst zu setzen.

Und doch merke ich, dass die Corona-Zeit tiefe Fragen aufwirft, denen ich mich nicht entziehen kann. Denn auf gewisse Weise stehen wir als Christen vor der Herausforderung und der Aufgabe, unseren Glauben im Exil, in der Verbannung vom gewohnten Zuhause zu leben.

Exil

Kurz nachdem die ersten Gottesdienste wieder stattfinden konnten, unterhielt ich mich mit einem Pastor über die Corona-Krise. Er war überzeugt, dass die Krise ein solcher Einschnitt sein würde, dass Kirche und Gemeinde nie ganz zu dem zurückkehren würden, wie es vor der Krise war. Und trotz meines Einwandes, dass gerade die Digitalisierung mit Livestreams und Online-Angeboten eine Chance ist, komme ich an dem Gedanken nicht vorbei: Was, wenn er recht hat?

Was, wenn Großveranstaltungen noch lange untersagt bleiben? Was, wenn das gemeinsame Singen auf absehbare Zeit nur im Freien und mit Abstand möglich sein wird? Was, wenn die anderthalb Meter Abstand, die wir alle mehr oder weniger einhalten, zum festen Teil jedes Gottesdienstes werden? Was macht unseren Glauben aus, wenn Großveranstaltungen, gemeinsames Singen und Nähe nicht möglich sind?

Vielleicht ist es nicht das letzte Mal, dass wir uns solchen Fragen stellen müssen. Aber neu sind diese Fragen auch nicht. Als das Volk Israel (bzw. was davon zu der Zeit noch übrig war) im Jahr 587 vor Christus von den Babyloniern erobert wurde, wurde ein großer Teil des Volkes in die babylonische Gefangenschaft geführt. Sie wurden aus dem Land und dem Leben, das sie kannten und liebten, herausgerissen und verloren alles, was ihnen wichtig war.

Wie auch heute war dort die Versuchung groß, ein baldiges Ende heraufzubeschwören. Sicher würde Gott bald Befreiung schenken und alles wieder beim Alten sein:

Und Hananja sprach vor den Augen des ganzen Volks: So spricht der HERR: Ebenso werde ich binnen zweier Jahre das Joch Nebukadnezars, des Königs von Babel, vom Nacken aller Nationen brechen.
– Jeremia 28:11

Doch als Gott durch Jeremia antwortet, geht es nicht um die Rückkehr. Im Gegenteil: Gott gibt dem Volk Anweisungen für die Zeit im Exil:

So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels, zu allen Verbannten, die ich in die Verbannung geführt habe, von Jerusalem nach Babel:
Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Frucht, nehmt Frauen und zeugt Söhne und Töchter, und nehmt Frauen für eure Söhne und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären, damit ihr dort zahlreicher werdet und nicht weniger.
Und sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch in die Verbannung geführt habe, und betet für sie zum HERRN, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen.
– Jeremia 29:4-7
Denn so spricht der HERR: Erst wenn siebzig Jahre erfüllt sind für Babel, werde ich mich um euch kümmern. Dann werde ich mein gutes Wort an euch einlösen und euch zurückbringen an diese Stätte.
– Jeremia 29:10

Wenn ich diese Verse in meinem Herzen bewege, erahne ich, wie sehr diese Worte jene getroffen haben müssen, an die sie gerichtet waren. Denn was Gott dem Volk Israel sagt, ist kurz gefasst: Lauft nicht weg! Stellt euch darauf ein, für eine längere Zeit nicht zuhause zu sein. Für eine längere Zeit das zu vermissen, was euch lieb und teuer ist. Eine längere Zeit, die so lange ist, dass erst eure Kinder, die in der Fremde geboren werden, die Rückkehr erleben werden.

Ich frage mich, wie es mir gehen würde, wenn genau diese Worte an mich gerichtet wären. Wenn die schnelle Rückkehr zur Normalität ausbleiben würde. Was würde das für meinen Glauben bedeuten? Was würde das für meine Gemeinde bedeuten? Und wie weiß ich, dass Gott auch in diesen Umständen treu ist?

Treue

Vor allen anderen Fragen ist für mich das Exil eine große Frage nach der Treue: Ist Gott noch treu? Und: Was heißt es, Gott treu zu sein? Oder anders ausgedrückt: Hat Gott uns verlassen? Und haben wir Gott verlassen?

Ist Gott noch treu? Wenn wir das, was uns lieb und teuer ist, verlieren, kommen wir um diese Frage nicht herum. Doch so wichtig diese Frage auch ist, müssen wir zuerst verstehen, dass es die Frage eines trauernden Herzens ist. Dass sie in Trauer und Schmerz entspringt. Und dass es wichtig ist, in unserem Herzen Raum für diesen Schmerz, diese Trauer zu schaffen.

Natürlich habe ich da irgendwie gut reden. Ich selbst musste mein Leben nicht außergewöhnlich einschränken und habe niemanden in meinem Umfeld an das Coronavirus verloren. Und dennoch merke ich, dass die Krise in mir Spuren hinterlässt. Ich spüre Schmerz über den Verlust dessen, was mir wichtig ist. Das leidenschaftliche (und laute) Mitsingen im Gottesdienst. Die unbeschwerte Gemeinschaft nach dem Gottesdienst, und wenn es nur beim Kaffee im Anschluss ist.

Aber es ist auch der Verlust von Hoffnungen, von Gelegenheiten, von Plänen, von kleinen und großen Träumen. Es ist das Gefühl, etwas verloren zu haben, ohne genau sagen zu können, was es genau ist. Es ist eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die mir in letzter Zeit schwerer fällt. Es ist eine Einsamkeit, die trotz aller Gemeinschaft, die wieder möglich ist, nicht ganz weichen will. Es sind Gedanken an Leute in meinem Umfeld, die es schlimmer getroffen hat – die Hochzeiten absagen oder verschieben mussten, die Geburt ihrer Kinder nicht miterleben konnten, sich bei Beerdigungen keine tröstende Umarmungen geben durften.

Es ist wichtig, diesem Schmerz und dieser Trauer nicht auszuweichen. Denn indem ich mich alldem stelle, erkenne ich den Wert dessen, was mir fehlt, an. Ich erkenne damit an, dass all diese Dinge der Trauer wert sind. Alles andere wäre Ausdruck von Gleichgültigkeit. Doch es fällt mir alles andere als leicht, Worte für die Trauer zu finden, den Schmerz in Klage auszudrücken. Denn es ist so viel leichter, mich abzulenken, zu zerstreuen und alle negativen Gefühle zu unterdrücken.

Gerade da sind mir die Psalmen eine große Hilfe. Es ist bezeichnend, dass die größte Lieder- und Gebetssammlung der Bibel zu einem beachtlichen Teil von Klage geprägt ist. Es sind Klagelieder Einzelner, aber auch des ganzen Gottesvolkes:

Wie lange, HERR! Willst du mich ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir? Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen, Tag für Tag?
Psalm 13:1-2
Wach auf! Warum schläfst du, Herr? Erwache! Verstoße nicht auf ewig! Warum verbirgst du dein Angesicht, vergisst unsere Not und Bedrängnis? Steh auf, uns zur Hilfe, und erlöse uns um deiner Gnade willen.
Psalm 44:24-25,27

Mich überwältigt die Ehrlichkeit der Psalmisten immer wieder. Sie halten vor Gott nichts zurück, wie sie auch fühlen mögen. Doch auch das beeindruckt mich: Dass sie ein so großes Vertrauen in Gott haben, dass er ihre Klage aushält, dass er mit ihrem Schmerz nicht überfordert ist. Gerade wenn ich selbst keine Worte für das finde, wie es mir geht, helfen mir die Psalmen, die unaussprechlichen Gefühle vor Gott auszusprechen und vor ihn zu bringen. Und gerade darin zu erleben, dass er mich hört und mich versteht.

In diesem Schmerz, in dieser Trauer stellt sich immer und immer wieder die Frage: Ist Gott noch treu?

Hat Gott seine Gnade vergessen, hat er im Zorn sein Erbarmen verschlossen?
Psalm 77:10

Mehr als ich mir vorstellen kann muss genau diese Frage dem Volk Israel auf dem Herzen gebrannt haben, als sie nach Babylon verschleppt wurden. Hat Gott uns aufgegeben? Hat er sich von uns abgewandt?

In diese Fragen und Zweifel hinein lässt Gott durch Jeremia seine Antwort verkünden:

Denn ich, ich kenne die Gedanken, die ich über euch denke, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch eine Zukunft zu geben und Hoffnung. Und ihr werdet mich rufen, und ihr werdet kommen, und ihr werdet zu mir beten, und ich werde euch erhören. Und ihr werdet mich suchen, und ihr werdet mich finden, wenn ihr nach mir fragt mit eurem ganzen Herzen.
Jeremia 29:11-13

Inmitten der Krise, inmitten von Chaos und inmitten der Trauer spricht Gott Worte der Hoffnung: Nein, er hat sein Volk nicht verlassen! Er hat weiterhin Gedanken des Friedens und der Hoffnung für sie, wie er es schon immer hatte. Das Exil ist für das Volk Israel nicht ein Ausdruck von Gottes Untreue sondern im Gegenteil von seiner Treue!

Weil Gott seinem Volk treu ist, führt er es ins Exil, so unverständlich das für uns ist. Weil Gott seinem Volk treu ist, mutet er ihm auch schwere Zeiten zu. Weil Gott seinem Volk treu ist, wird er sich von uns finden lassen, wenn wir ihn von ganzem Herzen suchen. Auch wenn wir uns manchmal erst im Exil auf die Suche nach ihm machen.

Prüfung

Als das Volk Gottes ins Exil verbannt wird, muss es sich unangenehmen Fragen stellen: Was heißt es wirklich, Gott treu zu sein? Im Kern ist dies eine Frage der Selbstprüfung. Das Volk Israel musste sich mit harten und herausfordernden Worten seiner Propheten auseinandersetzen:

Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern?, spricht der HERR. Die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber habe ich satt, und am Blut der Stiere, der Lämmer und der Böcke habe ich kein Gefallen. Wenn ihr kommt, um mein Angesicht zu schauen - wer hat denn von euch verlangt, dass ihr meine Vorhöfe zertretet?
Jesaja 1:11-12

Diese Worte sind eine Provokation! Hat Gott nicht selbst die regelmäßigen Opfer im Tempel eingesetzt? Hat er nicht selbst die Opfer von Stieren, Lämmern und Böcken vorgeschrieben? Hat es sich der Ewige, der Unwandelbare anders überlegt?

Denn an Treue habe ich Gefallen und nicht an Schlachtopfern und an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern!
Hosea 6:6
Gefallen dem HERRN Tausende von Widdern, ungezählte Bäche von Öl?
Er hat dir kundgetan, Mensch, was gut ist, und was der HERR von dir fordert: Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.
Micha 6:7-8

Es sind nicht die Opfer selbst, die Gott so stören, sondern dass der Rest des Lebens seines Volkes nicht zu den Opfern, die es bringt, passt. Am Sonntag gibt es sich heilig, aber am Montag schon bestimmen wieder Geiz und Gier, Betrug und Unrecht die Tagesordnung. Am Sonntag betet es seinen Gott an, den Rest der Woche aber alle anderen Götter. Als all das im Exil wegfällt, muss sich das Volk Israel der Frage stellen, wie echt seine Anbetung war und wie oft seine Opfer Selbstbereicherung zum Ziel hatten.

Nun ist unsere Situation eine andere. Die Verschleppung eines Volkes ins Exil wegen seiner Untreue und der Ausbruch einer Pandemie, der die ganze Welt betrifft, lässt sich nicht gleichsetzen. So leicht es ist, die gegenwärtige Krise als Ausdruck von Gottes Zorn über diese oder jene Gruppe von Menschen zu erklären, so wichtig ist es, dieser Versuchung zu widerstehen. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen sollte ich viel eher meine eigene Gottestreue auf den Prüfstand stellen.

Das fängt bei mir ganz persönlich an. Ich merke, wie sehr mir das Singen im Gottesdienst fehlt. Aber ebenso merke ich, wie oft ich in den letzten Jahren äußerlich oft voller Leidenschaft mitgesungen habe aber gedanklich die musikalischen Qualitäten der Band bewertet und mit der Musik von letzter Woche verglichen habe. Ich merke, wie oft ich Gottesdienste beurteilt und bewertet habe, als wären sie vor allem zu meiner Unterhaltung da. Ich merke, dass mein Fokus im Gottesdienst oft darauf lag, was ich davon habe und nicht auf dem Gott, um den es gehen sollte.

Und vielleicht ist es auch für uns als Gemeinden und Kirchen dran, gerade in dieser Krise zu prüfen, wie oft es uns um Entertainment geht und wie sehr wir Gott selbst suchen. Wie viel Energie wir darauf einsetzen, Gott zu dienen und wo wir uns vor allem um uns selbst drehen. Wo Jesus uns auffordert, das viele Tun zu unterbrechen, um ganz bei ihm zu sein, wie er es Marta sagt (Lukas 10).

Was heißt es nun, Gott treu zu sein? Durch Jeremia spricht Gott zu Israel:

Sucht das Wohl [Schalom] der Stadt, in die ich euch in die Verbannung geführt habe, und betet für sie zum HERRN, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen.
Jeremia 29:7

Das Wohl, den Frieden einer Stadt suchen, die Gott nicht kennt. Für Menschen beten, die von ihrem Schöpfer nichts wissen. So, wie das Israels Aufgabe im Exil war, ist es auch heute unsere Aufgabe. So wie auch für Israel lässt sich unsere Treue zu Gott und unsere Liebe zu unseren Mitmenschen nicht voneinander trennen. Es geht hier nicht einfach darum, den Menschen um uns herum keinen Schaden zuzufügen. Wir sollen ihren Schalom suchen: ihr Wohl, ihr Aufblühen, ihr Leben in ganzer Fülle – Leben, das nur Gott geben kann.

Es ist wichtig, zu trauern und seinen Verlust in Klage auszudrücken. Es ist wichtig, sich Gottes Treue zu vergegenwärtigen, auch wenn die Umstände dagegen zu sprechen scheinen. Aber es ist auch wichtig, dort nicht stehenzubleiben, sondern sich dort, wo wir gerade sind, voll und ganz für Gott und unsere Mitmenschen einzusetzen. Nicht vor den Umständen wegzulaufen sondern mit Gott mitten rein!

Rückkehr

Wozu war das Exil notwendig? Ja, Israel hat Mist gebaut und die Verbannung nach Babylon war die Konsequenz, wie es die Propheten sagen. Aber was ist die tiefere Bedeutung, der tiefere Sinn? Wollte Gott bloß beweisen, dass er stärker ist? War es eine Art göttliches „Hab-ichs-dir-doch-gesagt“?

Das Exil Israels macht erst Sinn, wenn wir es als Miniatur eines anderen Exils betrachten: Das Exil des Menschen aus dem Garten Eden.

Ganz am Anfang der Bibel lesen wir, wie Gott den Menschen schafft, um durch den Menschen seinen Segen, seinen Schalom in die Schöpfung zu bringen. Doch der Mensch wendet sich von Gott ab, sagt sich von ihm los und verliert das Geschenk des Lebens, das Gott ihm gemacht hat. Die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wie der Mensch den Garten Eden verliert, Mord und Totschlag in die Welt bringt und selbst nach der Sinflut an seiner Abkehr von seinem Schöpfer festhält.

In diese zerbrochene und kaputte Welt hinein gründet Gott das Volk Israel, als er Abraham beruft. Wie der Mensch im Garten Eden hat auch das Volk Israel einen Auftrag:

Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du wirst ein Segen sein. In dir sollen gesegnet werden alle Sippen der Erde.
1. Mose 12:2-3

Gottes Absicht war es, durch Israel wieder den Segen in die Welt zu bringen, den der Mensch verloren hat. Durch Israels Treue zu Gott sollte die ganze Menschheit seinen Schöpfer erkennen und mit ihm versöhnt werden. Doch genauso wie auch der erste Mensch sagt sich Israel von seinem Gott los und verliert das Geschenk des Lebens, das Gott ihm gemacht hat. Als sich Israel im Exil wiederfindet, findet es sich dort wieder, wo auch die gesamte Menschheit ist: Vertrieben aus dem von Gott zugesagten Land, vertrieben aus seiner Gegenwart.

Wenn wir von Israel im Exil lesen, erinnert uns das daran, dass der wahre Feind nicht Babylon ist, sondern die Macht von Tod, Sünde und Dunkelheit, unter welcher der Mensch seit seiner Vertreibung aus dem Garten Eden steht. Deshalb sprechen auch die Propheten bei  Israels Rückkehr aus dem Exil immer davon, dass Gott mehr als wiederherstellen will:

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann wird der Lahme springen wie der Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln, denn in der Wüste brechen Wasser hervor und Flüsse in der Steppe. Und die Ausgelösten des HERRN werden zurückkehren und nach Zion kommen unter Jubel, und über ihrem Haupt wird ewige Freude sein.
Jesaja 35:6,10

Und verschlingen wird er auf diesem Berg die Hülle, die Hülle über allen Völkern, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist.

Den Tod hat er für immer verschlungen, und die Tränen wird Gott der HERR von allen Gesichtern wischen, und die Schmach seines Volks wird er verschwinden lassen von der ganzen Erde, denn der HERR hat gesprochen.
Jesaja 25:7-8

Gottes Zusage ist, dass mit der Rückkehr Israels aus der Gefangenschaft auch die Erfüllung seines Auftrags, die Menschheit mit Gott zu versöhnen, verbunden ist. Israel hat seine Berufung, Gottes Segen in die ganze Welt zu bringen und damit das Exil des Garten Edens zu beenden, verfehlt hat. Doch Gott selbst würde diese Berufung erfüllen, Israel aus dem Exil Babylons zurückbringen und die Menschheit aus dem Exil Edens. Doch wie genau das geschehen würde, konnten die Propheten nur erahnen:

Unsere Krankheiten, er hat sie getragen,
und unsere Schmerzen hat er auf sich genommen.
Wir aber hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen von Gott Geschlagenen und Gedemütigten.
Durchbohrt aber wurde er unseres Vergehens wegen,
unserer Verschuldungen wegen wurde er zerschlagen,
auf ihm lag die Strafe, die unserem Frieden diente,
und durch seine Wunden haben wir Heilung erfahren.
Jesaja 53:4-5

Doch was die Propheten nur in Bildern und Rätseln andeuten konnten, dürfen wir in der ganzen Fülle sehen: Der allmächtige Gott wird selbst Mensch und erfüllt den Auftrag Israels an Israels statt: In seinem Tod am Kreuz besiegt Jesus die Macht des Todes und der Sünde und ermöglicht damit, dass die gesamte Menschheit wieder Anteil am Leben, das Gott gibt, haben kann. In Jesus haben wir wieder Zugang zu dem Segen, den Gott für seine Schöpfung vorbereitet hat. In ihm ist das Exil des Garten Edens überwunden.

Und wir? In der Corona-Zeit, in der wir immer wieder das Gefühl haben, nicht wirklich zuhause zu sein, dürfen wir uns daran erinnern, dass unsere größte Hoffnung nicht ist, dass irgendwann die Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote aufgehoben werden, sondern dass Jesus wiederkommt um seinen Sieg über alle Krankheit, den Tod und alles Dunkle für alle Ewigkeit zu vollenden. Dann dürfen wir unsere wahre Heimat in ihrer ganzen Schönheit genießen: die Gegenwart Gottes, in der das ewige Leben ist.